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stets blass und fahl aussehende Frau allerdings immer Kopfweh, und so riet ihr der Doktor Meinrath,
sie solle zum Untersuchen nach Hollabrunn ins Spital fahren. Dort stellten die Ärzte fest, dass sie einen
Hirntumorhatte,derherausoperiert werdenmusste.NachderOperationtrugsieimmereineAugenklap-
pe und um den Kopf einen großen weißen Verband mit vielen braunen und roten Blutflecken darauf.
Doch es war für eine Heilung und eine Hochzeit schon zu spät. Ein paar Monate später starb sie. Der
Emil kam auch zur Beerdigung in die Gettsdorfer Kirche. Weg die Braut, weg die Wirtschaft.
Der alte Griebinger, ein paar Häuser unter dem Haus der Peterkas, hatte auch eine Wirtschaft von sechs
Hektar - und keine Erben. Der fromme Emil hat immer wieder bei ihm ausgeholfen, sich sehr um die
Wirtschaft des Alten bemüht und sich so bei ihm schließlich regelrecht unentbehrlich gemacht. Der al-
te Griebinger war schon über achtzig und hatte nur noch einen einzigen Zahn im Mund. Den ganzen
Tag saß er pfeifenrauchend in seinem Ohrensessel, dessen Armlehnen und Sitzfläche schon so abgegrif-
fen und durchgewetzt waren, dass man das braun-grüne Seegras und die eisernen Federspiralen sehen
konnte, mit denen der Sessel gepolstert war. Die ehemals weißen Stubenwände waren vom Pfeifenrauch
dunkelgelb bis braun verfärbt. Von den vielen gerahmten Militärfotografien, die an der Wand aufge-
hängt waren, fehlten zwei und hatten heller gelbe, rechteckige Flecken hinterlassen. Der von der Decke
hängende, mit Leim beschmierte Fliegenfänger war schwarz von toten, aufeinanderklebenden Fliegen,
Mücken und anderen Insekten.
Trotz all dieses Verfalls ringsum hatte der alte Griebinger immer ein sauberes weißes Hemd an, das ihm
die Marie, seine Köchin und Haushälterin, alle zwei bis drei Tage wusch und bügelte. Seit über dreißig
Jahren führte sie ihm nun den Haushalt und half in der Wirtschaft. Geheiratet hat er sie nie, obwohl sie
all die lange Zeit sehnsüchtig darauf wartete, wie man auf den Bänken vor den Häusern in der goldenen
Abendsonne zu berichten wusste.
Wenn der alte Griebinger über den Hof durch die Scheune auf die Straße ging, sah er mich ab und zu
auf der anderen Straßenseite vorbeikommen. Dann rief er mir mit krächzender Stimme zu, wobei ihm
zähflüssigerSpeichelausdemMundlief.„Kommher,kriegstanApfelundanSchilling.“Ernahmmich
mit in die verrauchte, muffig riechende Stube und meist gab er mir einen Apfel, eine Birne und einen
Schilling oder ein paar Groschen. Dazu erklärte er mir zum x-ten Mal mit stolz erhobenem Zeigefinger
die vergilbten Fotos an der Wand, die ihn als jungen Offizier neben der Kanone „Dicke Berta“ zeigten.
Da er keine Erben hatte, wollte der Nachbarbauer ihm die Wirtschaft abkaufen, aber der Peterka-Emil
warschneller; nachdem ersich bei ihm unentbehrlich zumachen gewusst hatte, hat ihnderalte Griebin-
ger als Sohn adoptiert, obwohl da sein leiblicher Vater noch lebte - der alte Peterka, der dem Emil nach
jener verhängnisvollen Traktorfahrt mit mir damit gedroht hatte, ihn zu enterben. Nun war der Peterka-
EmilderErbevomaltenGriebinger.ErhatteseinHauptzielerreicht,dieWirtschaftwarsein,dergierige
Schlund hatte endlich Nahrung bekommen. Zwar hatte Emil noch immer keine Braut, aber doch eine
Wirtschaft. Des alten Griebingers wirklich treuer und selbstloser Köchin, der Marie, die der Griebinger
trotz all ihrer Aufopferung nie geheiratet hat, waren die fürsorglichen Bemühungen des frommen Emil
um den Alten längst ein Dorn im Auge gewesen, nun konnte sie diese „Scheinheiligkeit“, wie sie sagte,
nicht länger ertragen und verließ den alten Griebinger, der daraufhin bald dem Siechtum verfiel.
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