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HauptplatzinZiersdorfgingundfürdieichjedenSonntagimGettsdorferGemeindehaus zehnSchilling
auf ihr Sparbuch einzahlte, damit sie ihr Erspartes am Ende des Jahres auf ihre Kinder verteilen konnte,
hatte eine Tochter, Erna, und drei Söhne, Hans, Rudi und Gustav.
Ihr Mann ist aus dem Krieg nicht mehr zurückgekommen. Anfangs dachte sie, er sei nur vermisst, aber
bald hatte sie Gewissheit, dass er für das Vaterland gefallen war. Eine Granate hatte ihm den Kopf glatt
von den Schultern gerissen. Aus der zerfransten Hauptschlagader war das Blut in gussartigen Bögen ge-
quollen und hatte die trockene russische Erde getränkt. Der Kopf, vom Rumpf getrennt, sei noch einige
Meter den Schützengraben hinuntergerollt, so erzählte ihr später einer seiner überlebenden Kameraden.
Dieser Verlust traf die Witwe so schwer, dass sie zu trinken begann. Sie war beinahe jeden Tag leicht
betrunken. IhrGesicht hatte immer eine rötlich-blaue Farbe.Siehatte brauenlose Augenundeine fürihr
fortgeschrittenes AltersonderbarglatteHaut.Dieschwarz-grauenHaarewarenstrengnachhintengezo-
gen und im Genick aufgerollt.
Es war aufregend bei ihr. Alles war schöner und feiner als zu Hause. Da war die Küche mit dem lind-
grünen, frisch gestrichenen Küchentisch und der Kohlenkiste neben dem warmen Ofen. Um den lind-
grünen Tisch, auf der Eckbank, versammelten sich am Sonntagnachmittag die Frauen der umliegenden
Häuser,begierig,andiesemlangweiligen undödenTagetwaige Neuigkeiten zuerfahren,diesiedannin
alle Einzelheiten zerlegten, um sie aus allen Richtungen und Sichtweisen zu betrachten. Jedes Unglück
wurde dramatisiert, die Schuld hin und her geschoben, bis sie schließlich bei der ungeliebtesten Person,
auf die man sich schnell geeinigt hatte, hängenblieb. Dass es Gottes gerechte Strafe gewesen sei, als der
Poildl, der mit der Mirkan-Ursl zwei außereheliche Kinder gezeugt hatte, an der Kreuzung beim Fried-
hof in Gettsdorf tödlich verunglückte, da waren sie sich alle einig.
„Wenn der Totengräber Radlinger noch einen Funken Anstand und Ehre in sich hätte“, fiel der Frau Sei-
bingernundieHuberka-KlothildeinsWort -dieMuttervonFranz,dieihrMannnachdemKriegwegen
einer jüngeren Frau aus einem entfernten Nachbardorf genauso hatte sitzen lassen wie der Poildl seine
betrogene Ehefrau wegen der Ursl -, „würde er so einem Ehebrecher wie dem Poildl gar nicht das Grab
ausschaufeln.“ Während sie so sprach und beim Sprechen durch ihre Schneidezahnlücken im Unterkie-
ferimmerwiedermäuseartigePfeiflauteindenRaumzischten,zupftesieineinemfortanihrenBarthaa-
ren auf der Oberlippe und versuchte sie sich eines nach dem anderen einzeln auszureißen. „Am besten
wäre es“, setzte gleich darauf die schwergewichtige Hermine Debringer nach, dabei wischte sie mit ver-
zerrtem Gesicht den ihr aus dem Mundwinkel laufenden Speichel mit dem Handrücken weg und rieb
undkratzte unentwegt am Verband ihrer dick aufgequollenen offenen Beine, „wenn die Urslauch gleich
mit ihm mitgegangen wäre, dann hätten wir weniger Schande in unserem Dorf.“ Den verächtlichen, ab-
schätzigen Blick, den ihr bei ihrer Schimpfsuada die beinahe taube und schielende Irma Sandiger zu-
warf, die Schwiegertochter des alten „unteren“ Sandiger, hatte sie in ihrer heiligen Erregung gar nicht
bemerkt.DieSeibingerinabernicktederIrma,ebensounbemerkt,eifrigzu,beidewusstensiedoch,dass
die Hermine mit den offenen Beinen, deren Mann durch ein tragisches Unglück im Kuhstall ums Le-
ben gekommen war,nunselbst mit dem um zehn Jahre jüngeren Sebastian, der Irma ihrem Schwager,in
„wilder Ehe“ lebte, nicht viel anders als die Ursl mit dem Poildl, bis dieser mit dem geliehenen Moped
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