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te messerscharfe Bügelfalten und weiße Lilien glänzten darauf. Einen so strahlend prächtig gedeckten,
feinen, weißen Tisch hatte ich zu Hause nie gesehen. Ich war so fasziniert und überwältigt von dieser
vornehmen Umgebung, dass ich nichts sagen und nichts essen konnte. Erst nach mehrmaliger Auffor-
derung der Pfarrersköchin nahm ich eines der süßen Kipferln in die Hand und tauchte es in den Kakao.
Doch das Gebäck wurde in der heißen Flüssigkeit weich, und als ich es zum Mund führte, brach ein
großes Stück Kipferl ab und fiel auf die feine, strahlend weiße Tischdecke mit den Lilien darauf.
Mit versteinertem Gesicht starrte ich auf den hässlichen dunkelbraunen Kakaofleck und dann auf die
Pfarrersköchin. Schon spürte ich die Hiebe meines Stiefvaters, wenn er es erführe. Doch als der heute
mild gestimmte Pfarrer mein Missgeschick sah, sagte er nur: „Das ist ein Zeichen von Gott, er will uns
sagen, dass wir nicht unfehlbar sind.“
Max, dem der Pfarrer sechs Wochen zuvor mit dem Holzlineal dreimal auf die Finger geschlagen hatte,
weil er die Biblische Geschichte vergessen hatte, saß neben mir und schaute mich mit traurigen, mitlei-
digen Augen an, und die Radlinger-Helene, die Tochter des Totengräbers, die mich nicht leiden konnte,
schrie mit ihrer laut kreischenden Stimme: „Du bist sogar zu blöd zum Kipferlessen.“
Man erzählte sich im Dorf, dass die Köchin den Pfarrer jeden Samstagnachmittag im Holztrog in der
Küche badete, ihm den Rücken wusch und ihr Gesicht dabei eine rot erregte Farbe annahm. In den Zei-
ten vor seiner Parkinson-Erkrankung war der Pfarrer mit einem grauen Puch-Roller in die Bauernhäuser
derumliegendenkleinenOrtegefahren,umLetzteÖlungenundSegnungenzuspenden.Seitersozitter-
te, konnte er den Starterseilzug, um den Motor in Gang zu bringen, nicht mehr selbst betätigen und auch
nicht mehr selbst fahren, und so kaufte er der Köchin schließlich einen kleinen Fiat, mit dem sie ihn von
Ort zu Ort und von Haus zu Haus chauffierte, sobald sie, nach dreimaligem Antreten, endlich auch die
Führerscheinprüfungbestandenhatte.WennsienunmitdemAutoineineKurvefuhr,bewegtesie,wäh-
rend sie das Lenkrad krampfhaft mit beiden Händen hielt, stets Schulter und Kopf in die Richtung der
Kurve, so dass sie sich bei einer Linkskurve den Kopf an der geschlossenen Fensterscheibe anstieß und
bei einer Rechtskurve den Pfarrer in die Enge trieb. Sie lebten wie ein Ehepaar, in Sünde - so erzählten
sich die Alten auf den Bänken vorm Haus, wo so vieles immer und immer wieder neu erzählt wurde.
Max und ich gingen vor dem Nachhauseweg noch zur nahe der Kirche gelegenen Brücke mit dem guss-
eisernenGeländerundschauten,wiewirdasofttaten,indenRavelsbachhinab.UntenimklarenWasser
sahen wir Fische schwimmen, und da wollte ich, wie der goldene Petrus auf dem Hochaltar, mit der
HandeinenFischfangen.DochrutschteichanderBöschungab,schlitterteüberdiescharfkantigenStei-
ne und zerriss ein Stück Stoff von der neuen Hose meines blauen Kommunionanzugs.
Jetzt traute ich mich nicht mehr nach Hause. Gerade heute wollte ich vom Stiefvater keine Schläge.
Wenn du nicht brav bist
SeitmeinemviertenLebensjahrbinichoftindasgegenüberliegendeHauszurFrauSeibingergegangen.
Ich hatte sie sehr lieb, obwohl sie oft auch ausgesprochen böse zu mir sein konnte. Diese etwa sech-
zigjährige Frau, die zusammen mit der Huberka-Klothilde zweimal im Jahr zum Friseur Navratil am
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