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des alten Mirkan an der Kreuzung in Gettsdorf beim unachtsamen Nach-links-Abbiegen in einen mit
Kies beladenen Lastwagen hineingefahren war.
Manchmal, wenn er das Schreien, Schimpfen und Gepolter seiner hysterischen, stets eine Mistgabel,
SchaufeloderSichelwieeineWaffeinderHandhaltendenMutternichtmehrertrug,kamauchderleicht
beschränkteSchickler-FerdlindiesonntäglicheWeibergesellschaftundbrachtedieNeuigkeiten,welche
erselbstamVormittagnachderMesseimWirtshauserfahrenhatte,mitein.SelbstdieOperation,dieder
Dr.Meinrath anmeiner Fossacubitalis vorgenommen hatte, botreichlich Stofffüreinendieser langwei-
ligen und öden Sonntagnachmittage. Wenn die Frauen die Köpfe zusammensteckten und leiser als sonst
sprachen, dann sollte ich es, auf meiner Kohlenkiste neben dem Ofen sitzend, nicht hören, dann redeten
siewohlübermeinenStiefvater,wieschlechtermeineMutterdochbehandleundwieoftamTagerdoch
in den Weinkeller gehe. Ein mehrfaches, lautes „Was ist?! Was ist?!“ der schwerhörigen Irma jedoch
unterbrach das Geflüster immer wieder messerscharf. Meine Mutter selbst hingegen beteiligte sich nie
an diesem sonntagnachmittäglichen, die einen schlecht und die anderen gut machenden Getratsche der
Weiber im unteren Dorf. Meine Mutter redete überhaupt nie über die anderen Leute im Dorf. Selbst die
Seibingerin sagte manchmal zu mir: „Deine Mutter ist wie ein Grab, man kann ihr erzählen, was man
will, sie erzählt nix weiter, behält alles für sich.“
MirwarderPlatzaufderKohlenkisteangenehmwarmundichvergaß,wennichdortsaß,füreinigeZeit
wiedermeinkaltesungemütlichesKabinettmitdennachdemsamstäglichenHeizennachtgespensterhaft
zerschmelzenden Eisblumen an den Fensterscheiben. Über der Eckbank um den lindgrünen Tisch stand
auf einer ebenfalls lindgrün gestrichenen Konsole ein Volksempfänger. Anfangs hatte ich immer Angst,
wenn der Sprecher im Radio seine Stimme erhob. „Das ist der böse Mann, der kommt dich holen, wenn
dunichtbravbist“,sagteFrauSeibinger.IchverstecktemichdanninderhinterstenEcke,undausAngst
schwor ich, indem ich zwei Finger der rechten Hand hob und die linke auf meine Brust legte, dass ich
mich bessern werde.
Sonntag Nachmittag hörten wir oft auch das Wunschkonzert „Ein Gruß an dich“, ein Programm, das der
Sandiger-Helmuth, der kriegsversehrte Sohn vom alten „unteren Sandiger“ und der Mann der beinahe
tauben und schielenden Irma, die „Erbschleicher-Sendung“ nannte. Wenn der Erzherzog-Johann-Jodler
gespielt wurde, das Lieblingslied ihres gefallenen Mannes, dann weinte Frau Seibinger. Einmal heftiger,
manchmalweniger,jenachdem,wievielsiegetrunkenhatte.ZurWeihnachtszeitwardieSeibingerindie
Einzige im Dorf, die elektrische Lichter am Tannenbaum hatte. Diese vielen Lichter waren so mit dem
Stromkreis verbunden, dass die Christbaumkerzen das ganze Zimmer erhellten, sobald man den Raum
betrat und den Schalter betätigte.
IhreLebenslustigkeitliebteich.SiegingjedenTagein-oderzweimalindenKellerundoftbegleiteteich
sie auf dem langen Weg. Der holperige, wegen der vielen Furchen beschwerlich zu gehende Lehmweg
der Kellergasse lag höher als die vordere Straße, und so konnte man im Vorübergehen durch die Fenster
in die Häuser hineinschauen und sehen, was ihre Bewohner gerade machten. Manche aßen, andere strit-
tensich,anderewiederumsaßendaundschauteninsLeere.BiszumletztenGewölbeinderKellergasse,
weit draußen außerhalb des Dorfes, war es vom Haus der Frau Seibinger etwa einen Kilometer. Das war
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