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nemOrtimoberenWaldviertel, nahedertschechischen Grenze, befandsich meist imKeller irgendeines
Weinbauern und traf dann viel zu spät und leicht betrunken an der Unfallstelle ein. Die Beteiligten ge-
rieten bei ihren gegenseitigen Schuldzuweisungen immer in heftigen Streit, schlugen manchmal gar mit
Brachialgewalt aufeinander ein, auf Köpfe, Beine, Arme undden ganzen Körper,undbeschimpften sich
mit bösesten Worten. Sobald aber der Gendarm eintraf, beruhigten sie sich und taten zumeist, als seien
sie die besten Freunde.
Wenn sie mit dem Gendarmen sprachen, versuchten sie, seiner Amtssprache gerecht zu werden, und
gaben sich alle Mühe, ebenso wie er nach der Schrift zu sprechen, was sich recht komisch bis unan-
genehm anhörte. Der Name Weinbub, zum Beispiel, heißt im Weinviertler Dialekt „Weibui“, wenn sie
aber Hochdeutsch sprechen wollten, dann sagten sie nicht Weinbub, sondern „Weinbuab“. Und der Ort
Schloßhof wurde fälschlicherweise „Schlasshof“ ausgesprochen.
Am darauffolgenden Sonntag war alles wieder vergessen und die Kontrahenten, die sich nach dem
Unfall mit unflätigen Worten und oft auch unter beträchtlichem Einsatz ihres Körpers gegenseitig die
Schuldzugewiesenhatten,standenwährenddesGottesdienstesfriedlichgemeinsamimVorjochderKir-
che, damit sie nach der heiligen Kommunion als Erste wieder draußen sein und einen guten Platz im
Wirtshaus bekommen konnten, wo sie dann die ewig gleichen Dorftratschgeschichten, wie sie sich die
AlteninderAbendsonneaufdenBänkenerzählten,erneutbereden,auseinandernehmenundneuzusam-
mensetzen, sich betrinken und einander wieder beschimpfen konnten.
Er strafte meine Brausepulverbilder mit Missachtung
Der Peterka-Emil war der Einzige in unserem Hundertseelenort, der einen Traktor besaß. Das heißt, ge-
kauft hatte ihn sein Vater, aber der Emil war der Einzige, der ihn auch fahren konnte. Wenn Emil den
anderen Bauern, die selbst keine Pferde- oder Ochsenfuhrwerke hatten, ihre voll beladen bereitgestell-
ten Getreidewagen gegen Entgelt in die Mühle nach Gettsdorf, ins Lagerhaus nach Ziersdorf oder nach
Hause in ihre Scheunen brachte, durfte ich manchmal mitfahren. Zu diesem knapp dreißigjährigen Bur-
schenhatteichVertrauen.VornichtlangerZeithatteersichalleoberenZähneziehenlassenmüssen,die
völlig entzündet und vereitert waren, und daraufhin eine Zahnprothese, ein falsches Gebiss, bekommen.
Als ich ihm einmal Flaschen in den Keller tragen half, hat er es mir gezeigt. Mit zwei Fingern nahm er
es aus dem Mund, der Speichel zog dünne Fäden, die sich vom Gebiss zum Mund spannten und dann
zerplatzten. Der fleischfarbene Plastikgaumen wurde mit einem Saugnapf am echten Gaumen festgehal-
ten.
Seit dem Tag, an dem er mir sein falsches Gebiss gezeigt hatte, hatten wir ein gemeinsames Geheimnis.
Es war ihm sehr daran gelegen, dass niemand von seinem Makel wusste, vor allem nicht die Mädchen,
schließlich suchte der zweitälteste Sohn der Familie noch immer händeringend nach einer Frau, mög-
lichst mit einem Hof. Ansonsten war er ruhig, besonnen und strenggläubig, wie seine ganze Familie, die
sehr katholisch und fromm, beinahe bigott war - besonders die bucklige alte Peterka, seine Großmutter,
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