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sowie die im Haus lebende, ans Bett gefesselte Tante Bärbel; und für seinen jüngeren Bruder Wolfgang
hatte man sogar die Priesterlaufbahn vorgesehen.
Für die besondere Faszination, die sein Traktor auf mich ausübte, hatte der fromme Emil größtes Ver-
ständnis und ließ mich ab und zu sogar ans Lenkrad. Für diese Gnade war ich sehr dankbar und bot ihm
im Gegenzug, wann immer erforderlich, meine Hilfe an.
Am späten Nachmittag, etwa gegen fünf Uhr, zog über dem Himmel ein Gewitter auf, und Emil meinte,
es werde bald regnen. Es war Eile geboten, damit die gut geratene Ernte nicht durch die Nässe des Re-
gens verdarb und zunichtegemacht würde. Mit nacktem Oberkörper stach er die schweren Getreidegar-
ben mittels einer großen vierzinkigen Heugabel an und hievte sie mit Schwung nach oben auf den Wa-
gen, wobei ihm aufgrund seines gedrungenen Körperbaus der Bauch ein wenig aus der mit starken Le-
derriemen zugebundenen Hose herausquoll. Oben auf der Ladefläche versuchte ich nun mit all meinen
Kinderkräften, den Wagen richtig zu beladen und die Garben so gut wie möglich auf dem Wagen zu
verteilen, dabei immer an meinen Lohn, die Traktorfahrt, denkend. Mein Gott, was hätte ich nicht sonst
noch alles für dieses Vergnügen getan!
Endlich fertig, alle Garben sind drei Meter hoch auf dem Wagen aufgeschichtet. Vom Acker auf die
Straße fuhr Emil selbst, denn bei der Fahrt über die holperigen Furchen war eine gewisse Erfahrung
und Fahrkunst erforderlich. Auf der gerade auslaufenden Landstraße jedoch setzte ich mich auf den mit
schwarzem Plastik bezogenen Fahrersitz, auf dem ein strohgefülltes, zusammengedrücktes Kissen lag,
genäht aus einem alten Jutesack, der mit großen schwarzen Buchstaben bedruckt gewesen war und noch
die verstümmelten Wörter LAGERH und darunter ZIERSD erkennen ließ. Auf diesem Kissen sitzend,
übernahm nun ich das Steuer. Emil saß, mir Anweisungen gebend, auf dem Nebensitz, der auf den rie-
sengroßen Kotflügel des grünen Steyr-Traktors aufgeschraubt war.
Emils lockere, fröhliche Stimmung änderte sich in dem Augenblick, als wir ins Dorf einfuhren und er
aus der Ferne seinen Vater vorm Haus stehen sah.
Das Haus, ein zweistöckiges Gebäude auf hohem Sockel, hatte sein Vater, ein gelernter Maurer, inner-
halb von zwei Jahren selbst gebaut. Es war höher als alle anderen Häuser im Dorf, und immer wenn
Emils leicht schwachsinnige Schwester von ihrer Anstellung bei einem Grazer Bierbrauer, bei dem sie
als Dienstmädchen untergekommen war, zu einem Besuch nach Hause kam und dieses vom Vater selbst
erbauten Hauses ansichtig wurde, rief sie, während sie aus dem Postautobus stieg, so laut, dass es schon
ein Schreien war: „Ein Palast, ein Palast!“ Dann reichte sie ihrem wartenden Vater ganz feierlich eine
ausGrazmitgebrachte Bierflasche,woraufhiner,fastandächtigundkaumhörbar,„Reinighaus,dasgute
Bier“ vor sich hinmurmelte.
Als nun Emil, dieser selbstständig wirkende, erwachsene Mann, seinen Vater vorm Haus stehen sah, er-
schrak er, denn er hatte vor seinem leiblichen Vater ebenso viel Angst wie ich siebenjähriger Knabe vor
meinem Stiefvater. Er zog seine Schirmkappe tiefer ins Gesicht und tat, als würde er seinen mit grimmi-
gem Gesicht und geballten Fäusten im Haustor aufragenden Vater gar nicht bemerken. Sein Vater wollte
nicht, dass jemand anderes als sein Sohn mit dem Traktor fuhrwerkte, und das wusste ich genauso gut
wie Emil. Beim Anblick desVaters bekam ich Schuldgefühle undversuchte vomFahrersitz zurutschen,
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