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Wenn wir trafen, tanzten die Ratten eine Art Veitstanz, bei dem sie sich einige Male um ihre eigene
Achse drehten, in hohen schrillen Tönen quietschten, um dann sterbend auf die Seite zu fallen - oftmals
klatschten sie direkt in die Jauchegrube hinein.
Der blöde Adi will der Rosl sein neues Fahrrad zeigen
Ein warmer, etwas schwüler Sommertag. Aus der nächsten Ortschaft kam Adalbert, genannt der blöde
Adi,mitseinemFahrraddieDorfstraßeentlang.DasFahrradhatteersichzuseinemfünfundzwanzigsten
GeburtstagmiteigenenHändenzusammengebaut unddienötigenEinzelteile vonverschiedenenBauern
geschenkt bekommen. Er war geistesschwach und irr, hatte aber einen praktischen Verstand. Lesen und
schreiben konnte er nicht, aber werkeln und basteln. Wenn er Vertrauen zu einem Menschen schöpfte,
konnte er auch ganze, schlüssige Sätze bilden. Im normalen Alltag mit den Dorfleuten kamen jedoch
nur unvollständige, schwer verständliche Wortfetzen aus seinem Mund. Jede Frage, die er nicht sofort
verstand, wurde mit dem immer gleichen Satz „Dat it meine Tate“ beantwortet, was heißen sollte: „Das
istmeineSache.“AlsdasRadfertigwar,fuhrerdamitvoneinemHauszumanderenundvoneinemOrt
zum nächsten, alle sollten sein neues Fahrrad sehen.
Heute, es war Freitag, hatte er also Geburtstag und endlich ein Fahrrad, und zu diesem Festtag hatte
er sich sein schönstes Gewand und ein weißes Hemd angezogen. Das für seine fünfundzwanzig Jahre
schon viel zu faltige Gesicht war rasiert. Man konnte die noch immer etwas blutigen Scharten der Ra-
sierklinge sehen sowie Reste von Rasierschaum an Hals, Ohren und unter den Nasenflügeln. Aus den
Nasenlöchern standen borstige Haare heraus. Die wirren braunen Haare am Kopf, die sehr füllig und
widerspenstig waren, versuchte er mit Haarfett und Brillantine nach hinten zu glätten.
Heute wollte Adi besonders gut und interessant aussehen, denn er wollte mit dem neuen Rad auch zur
Rosl fahren, um ihr stolz seine neuste Errungenschaft zu zeigen. Zur Rosl hatte er schon seit längerem
Zutrauen gefunden. Jedes Mal wennsie mit ihm sprach, überkam ihnein erregtes Zittern, undwennnie-
mand es sah, durfte er ihr sogar an die Brust greifen und streicheln. Sie lachte dabei und sagte immer
wieder: „Hör auf, hör auf!“, weggegangen aber ist sie nie. Und heute sollte sie das selbst zusammenge-
baute, fertige Fahrrad sehen. Alles war dran an dem Rad: Glocke, Licht, Dynamo und Fahrradpumpe.
Nur die Rückradbremse funktionierte noch nicht; lediglich die vordere Handbremse war angebracht und
tat ihren Dienst. Ganz aufgeregt trat Adi in die Pedale und radelte zu der Wiese, wo er Rosl vermutete.
Grade heute war sie nicht da.
Er fuhr in das nächste Dorf. Unser Hundertseelendorf. Dort standen die Dorfbuben zu dritt vor der klei-
nen Kapelle in romanischem Stil und warfen einen zerlumpten alten Fußball hin und her. Erst schleu-
derten sie ihn gegen die Stirnmauer der Kapelle, wobei sie versuchten, das oberste Fenster zu treffen,
vor dem ein leicht verrostetes gusseisernes Kreuz hing. Als ihnen das nicht gelang, warfen sie sich den
Fetzenball gegenseitig an den Kopf. Als sie den blöden Adi sahen, hatten sie die Idee, mit ihm heute
irgendetwas Lustig-Böses zu machen.
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