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Meine Mutter nahm mich an der Hand und ging mit mir in das leere Abteil zurück. Wir setzten uns an
unseren Platz und warteten auf die Weiterfahrt. Meine Mutter weinte still vor sich hin.
Der Bauernbündler auf dem Plumpsklo
Wenn man aus dem Haus ging, eine Stufe nach unten, vorbei an dem eisernen Schöpfbrunnen und am
Misthaufen entlang, war dort eine alte morsche Brettertür -das Toilettenhäuschen. Die Holztür ließ sich
miteinemeinfachenEisenriegel abschließen, denmanvonaußenundvoninnenzuschiebenkonnte.Zur
täglichen Entleerung dienten zwei nah nebeneinanderliegende Löcher, ein großes und ein kleines, die
jeweils mit einem rundgeschnittenen Deckel aus Brettern zugedeckt waren, in dessen Mitte sich zwei
Astlöcher als Griff befanden.
An der terrakottafarbenen Ziegelmauer war ein Nagel eingeschlagen, an dem ein spitzer Eisenhaken
hing. Dort waren rechteckige Zettel aufgespießt - zerschnittene Zeitungsblätter aus dem volksparteili-
chen „Bauernbündler“, der in keinem landwirtschaftlichen Haus fehlen durfte, aus dem „Kleinen Blatt“
der Sozialisten oder aus dem katholischen Kirchenblatt. Stiefvater verlangte, dass wir Kinder die Zettel,
ehewirsieandenspitzenHakensteckten,indenHandinnenflächensolangekneteten,bissieweichwa-
ren.Dannwarzwarkaummehrzulesen,wasaufdenZettelngeschriebenstand,aberdaswarfürmeinen
Stiefvater ohnehin unwichtig, da er ja nicht lesen konnte.
Meine Mutter liebte die Sitzungen auf dem Abort. Da konnte sie ein wenig ausruhen und, anders als
ihr Mann, die Zeitungszettel so weit noch möglich lesen. Unsere Knetarbeit ließ an den Rändern immer
noch so viel Text übrig, dass das Plumpsklo für meine Mutter eine Art Informationszentrum wurde. An
Tagen, wo sie oder ich traurig waren, durfte ich mit meiner Mutter zusammen auf dem Klo sitzen. Sie
auf dem großen ausgeschnittenen Loch und ich auf dem kleinen. Dabei redete sie mit mir über allerlei
Dinge. Was wir uns einmal gemeinsam kaufen würden, wenn wir von irgendwoher Geld bekämen. Wel-
che Reise wir einmal mit der Eisenbahn machen wollten. Oder wir redeten über die anderen Bauern im
Dorf, wie dumm und bösartig sie manchmal doch seien. Die Exkremente fielen dann etwa zwei Meter
nach unten in die Urin- und Kotjauche und ließen die Jauche wieder nach oben spritzen.
Einmal im Monat wurde die Senkgrube zwischen Toilettenhäuschen und Misthaufen geleert. Dann wur-
de die stinkende Gülle mit einer Saugmaschine in einen Tankwagen befördert und als Dünger auf die
Felder gebracht. Während der Fahrt durch das Dorf tropfte es aus dem verrosteten und lecken Eisentank
und hinterließ ein Rinnsal aus Gülle. Es stank durch das ganze Haus, den Hof und durch die halbe Ort-
schaft.
Bei der Leerung der Toilette und der gleichzeitigen Abtragung des Misthaufens daneben wurden unzäh-
ligeRattenausihrenLöchernundBauengetrieben.MeinFreundFranzHuberkaundichnahmeneszum
Anlass, einen Teil der Ratten einzeln zu erlegen. Mit vorher extra gebastelten Schleudern, gefertigt aus
Astgabeln, die wir an beiden oberen Enden mit roten Gummis aus Einsiedegläsern versehen hatten, er-
legten wir die Schädlinge, indem wir mit kleinen harten Steinen auf ihre Köpfe zielten.
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