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sind Bismarckheringe - und eine Semmel, das ließ sie anschreiben. Wir hatten nie Geld, und diese fort-
währende Geldnot war eine der Hauptursachen des unaufhörlichen Streits. Mit den im kleinen Greißler-
laden erworbenen „Delikatessen“ ging sie dann in den Keller, um den Mann wieder umzustimmen, was
ihr zumeist gelang. Zu meinem Leidwesen hat er sich nie wirklich erhängt. Das Martyrium nahm kein
Ende.
In der Zwischenzeit aßen wir Kinder zu Hause gekochte Erdäpfel mit Salz und Schmalz. Es gab meist
nichts anderes. Im Sommer, wenn Blumen, Kräuter, Obst und Gemüse gediehen, gab es manchmal mei-
ne Lieblingsspeise: grünen Häuptelsalat - auch Kopfsalat genannt - und „Heurige“, leicht gelbliche,
feste und wunderbar schmeckende frische Frühkartoffeln mit geschmolzener Rama-Margarine und viel
dunkelgrüner, grob gehackter Petersilie drauf.
Immer wieder bat ich den Herrgott, doch mich zu bestrafen statt meiner Mutter. Gerne hätte ich zu der
beinahe täglichen Ration Schläge noch welche dazu genommen, wenn es denn meiner Mutter eine Er-
leichterung gewesen wäre. Doch der betrunkene Stiefvater wollte ohnehin immer alles haben - die Kin-
der schlagen und die Mutter bis in den tiefsten Abgrund beleidigen und erniedrigen.
Am meisten waren mir die Mittagessen am Sonntag verhasst, obwohl ich die Sonntage eigentlich doch
liebte, weil ich da in die Kirche gehen konnte. Der Stiefvater dagegen führte ein heidnisches Leben. Er
ging nie in die Kirche und beschimpfte die Pfarrer als „Pfaffen“. Wenn ich, mit Freude im Herzen und
vom Segen des Pfarrers, Pater Gregor Bolognia, gestärkt, die Kirche in Gettsdorf verließ und mich auf
den Nachhauseweg machte, freute ich mich einerseits auf das gute, besondere Sonntagsessen, fürchtete
mich zugleich aber auch vor dem Essen mit dem Stiefvater am Tisch.
Esgabjeden Sonntageine Suppeunddanach Schweinebraten, KnödelundGurkensalat. ImWinter Sau-
erkraut statt Gurkensalat. Der Stiefvater mit seinem sommers wie winters braun gebrannten Gesicht und
dem dunklen Haaransatz, der ihm weit in die von zwei Querfalten durchzogene, leicht nach innen ge-
wölbte Stirn gewachsen war, nahm als Erster vom Braten, ein großes Stück. Wir Kinder durften nur ein
kleines nehmen. Die Schüssel mit dem Gurkensalat stand vor seinem Teller, der Salat mit viel Pfeffer
bestreut.
Bei der Suppe schlürfte er so sehr, dass es mir immer wieder den Hals zuschnürte. Bei jedem Löffel,
den er mit seinen kräftigen Händen an den stark behaarten Armen, die aus den hochgerollten, grau-blau
karierten leinenen Hemdsärmeln herausragten, zum Mund führte, beugte er das Gesicht so weit in den
Teller, dass die Spitze der krummen, großen Nase beinahe die heiße Suppe berührte. Es dauerte eine
kleineEwigkeit,biserdenweißemailliertenBlechtellermitdemdünnenblauenRandausgelöffelthatte.
Eswarabstoßend,wieeraß,undeswidertemichan.BeimSchweinebraten nahmerdieRippenknochen
in die Hand und kaute sie ab, wobei er das halbe Gesicht mit Fett beschmierte und ihm der Bratensaft
über die Finger rann. Dazu schmatzte und prustete er so stark, dass ich ab und zu den Tisch verlassen
musste. Da er uns verboten hatte, während des Essens vom Tisch aufzustehen, ging das nur unter der
Notlüge,ichmüsseaufdie„kleineSeite“ -alsoaufdieToilette.Dorterbrachichmichdann.Erfraßwie
ein Schwein.
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