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Von ihrem Schweinebraten mit Knödeln einmal abgesehen, konnte meine Mutter nicht gut kochen. Der
schlimmste Tag war es für mich, wenn es Beuschel gab. Dann wurde die Schweinelunge in Stücke ge-
schnittenundinweißerMehlsoßegedünstet.DiemitgedünstetenLorbeerblätterverbreiteteneinenüblen
Geruch.
Inden Lungenstücken waren auch die Luftröhren enthalten, weiße, mehrere Millimeter dicke Röhrchen.
Ich versuchte sie herauszuschneiden, Stiefvater erlaubte es nicht. Er sah genau auf meinen Teller, ob ich
auch alles aufaß.
Hinterher musste ich wieder regelmäßig auf die „kleine Seite“ und mich übergeben.
Dazu Fondantringe in Rosa und Weiß, das Rückenteil in Schokolade
getaucht
Unserebeiden hellbraunen kleinen, gedrungenen Haflingerpferde taugten gutfürallerlei landwirtschaft-
liche Arbeiten. Nachdem der Stiefvater seine Fuhre mit zwanzig Säcken Gerste und Weizen ins vier Ki-
lometer entfernte Genossenschaftslagerhaus gebracht hatte, ging er ins Wirtshaus Bier trinken bis in die
finstere Nacht. Sein Pferdewagen hatte keine Beleuchtung, und eines Tages fuhr ihm auf dem Heimweg
ein entgegenkommendes, ebenso unbeleuchtetes Motorrad frontal in den Wagen, und die Lenkstange
des Fuhrwerks bohrte sich mitten in den Brustkorb des Motorradfahrers. Der viel zu spät kommende
Rettungswagen konnte den bewusstlosen Motorradfahrer, dem außerdem beide Arme gebrochen waren
undlinks undrechts schlaffzuBoden hingen, mit MühenvonderLenkstange ziehen. Dochmittlerweile
hatte er so viel Blut verloren, dass er bei Ankunft im Krankenhaus verstarb. Mein Stiefvater indes kam
mit dem bloßen Schrecken davon. Vielleicht auch war es für ihn ja nicht einmal ein Schrecken, sondern
eher nur ein unangenehmes, störendes Ärgernis gewesen.
Eine unweit der Unfallstelle wohnende Bäuerin kam am nächsten Tag mit drei Kübeln heißem Wasser,
umdie„Schande“,wiesiesagte,vonderStraßewegzuwaschen.AlssiedierotbraunenBlutfleckennicht
wegbekam, holte sie zwei Kübel mit Sägespänen und verteilte sie über den Blutflecken. Das musste in
Ordnung gebracht werden, das war ihr sehr wichtig.
NacheinigerZeiterhieltmeinStiefvatervomGerichteineVorladung.DerStiefvater,dernieeineSchule
besuchthatte,gabsiemeinerMutterzumLesen.MeineguteMutterhatseinAnalphabetentumeinLeben
lang zu verstecken gewusst. Das Gericht verurteilte den Stiefvater schließlich wegen Fahrens ohne Be-
leuchtung zu drei Wochen Gefängnis, die er vierzehn Tage nach der Verhandlung antreten und absitzen
musste. Da der Motorradfahrer ebenfalls ohne Beleuchtung gefahren war, wurde meinem Stiefvater nur
eine Teilschuld zugesprochen, und so fiel die Strafe relativ gering aus.
Mittlerweile war es Anfang Dezember geworden. Um sechs Uhr früh zog er seinen dicken Mantel an,
setzte eine Baskenmütze auf, die er nur zu besonderen Anlässen aus dem Schrank nahm, streifte sie
mit beiden Händen bis über die leicht nach innen gewölbte Stirn und verabschiedete sich von meiner
schluchzenden, weinenden Mutter. In die Manteltaschen steckte sie ihm noch rasch eine Knackwurst,
eine Semmel und eine Flasche Bier, die sie am Vortag gekauft hatte - im Gegensatz zum Wein, den man
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