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ihrer Familie zeichnen und an oberster Stelle eine Fotografie ihrer Mutter einkleben, ein Foto von ihr
erbat, das sie mir zusenden sollte, was sie auch gleich tat. In den Brief mit dem Foto legte sie dann auch
nocheinenZwanzigschillingschein, densiemitgrößterWahrscheinlichkeit demVersteck fürdiemonat-
liche halbe Stange Braunschweiger Wurst im Wäschekasten entnommen hatte. Jetzt hatte ich ein Bild
von ihr und konnte sie immer wieder ansehen.
Sehnlichst wartete ich auf den letzten Tag in der Berufsschule in Waldegg und war froh, als ich wieder
in der Eisenbahn saß, die mich zurück nach Krems, an meine Lehrstelle brachte. Hier wusste ich, was
auf mich zukam, hier war ich gerne gesehen und wurde schon erwartet, es gab viel zu tun.
In der Zwischenzeit war Leni wieder in ihre Heimat nach Schwaz in Tirol zurückgekehrt. Wir schrieben
einander noch einige Zeit Briefe. Es waren meine ersten Liebesbriefe, und ich legte all meine Sehnsucht
in sie hinein, füllte sie mit tiefen Gedanken und Liebesschwüren. Nach einigen Briefen kam keine Ant-
wort mehr zurück.
Eine Liebe, die, ehe sie begann, schon wieder zu Ende war. Es sollte nicht die einzige in meinem Leben
bleiben.
Von der Hölle in den Himmel
Nach der dreijährigen Lehre kehrte ich wieder zurück nach Wien, von wo ich ursprünglich hergekom-
men war, ehe ich als ganz kleines, etwa zweijähriges Kind in das Hundertseelendorf meiner Kindheit
gezogen bin. In Wien fand ich eine Anstellung in einem der besten Restaurants der ehemaligen Kaiser-
stadt: den Drei Husaren. In dieses wunderschöne Restaurant kam die große Welt, um verwöhnt zu wer-
den und sich ein Stelldichein zu geben.
HierkonnteichvielederSchauspielerundSänger,dieichinzwischenausKino,Theater,OperundFern-
sehenkennengelernt hatte, persönlich erleben. Alsdergroßeitalienische TenorGiuseppe DiStefanodas
Restaurant besuchte, musste ich sofort an meine Mutter denken. Als sie mitbekommen hatte, dass mir
klassische Musik gefiel, hatte sie mir, ohne besonderen Anlass, einfach um mir eine Freude zu machen,
eine Single-Schallplatte geschenkt, für deren Kauf sie sich wieder einmal etwas von dem eigentlich für
diemonatlichehalbeStangeBraunschweigerWurstgedachtenGeldausdemVersteckunterdenFlanell-
hemden hatte „leihen“ müssen. Auf der A-Seite war aus Mozarts Don Giovanni „Reich mir die Hand,
mein Leben“ und auf der B-Seite „La donna è mobile“ aus dem Rigoletto von Verdi zu hören. Dieses
Lied hatte ich später, von Di Stefano gesungen, in der Wiener Staatsoper gehört - und nun sah ich ihn
ganz aus der Nähe und bediente ihn persönlich.
Bei jedem Servicegang und bei jedem Handgriff, den ich an diesem herrlichen Ort im Herzen der Dona-
umetropolemachte,dachteich:Wiekannessein,dassichvonderHölleindenHimmelgekommenbin?
Und ich dankte dem Herrgott mit allen Gebeten, die ich parat hatte. Der Patron Egon Fodermayer war
ein strenger, aber gerechter Chef und ein Meister seines Fachs. Vor ihm hatte ich sehr großen Respekt,
aber keine Angst. Oder doch? Jedenfalls hielt sie sich in Grenzen.
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