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Ein Hauch der großen Welt
NachzweiMonatenhattesichinmirendgültigderEindruckgefestigt,dassdieLehreimHotelGoldenes
Lamm nicht das war, was ich mir erwartet hatte. Da bot sich mir durch einen Zufall eine Lehrstelle im
Hotel zur alten Post in Krems an der Donau an.
Gleich der erste Eindruck begeisterte mich. So wie zuvor in Horn hatte ich auch in Krems meinen Vor-
stellungsbesuch gemacht. Herr Brunner, der Besitzer und Chef des Hotels zur alten Post, kam gleich auf
michzuundfragtealsErstes,warumichdennmeineLehrstelleinHornnichtbehaltenhätte.Alsichihm
mitteilte, dass ich mehr lernen wollte, als nur in der Getränkekammer Flaschen in die richtigen Kisten
einzusortierenundzuMittagdanndenMaurerpolierenundVorarbeiternihrenTellerhinzustellen,warer
von meiner Begeisterung für den Kellnerberuf überzeugt und sagte mir die Lehrstelle für die kommen-
den drei Jahre zu. „Jetzt gehen Sie da hinten in das kleine Büro, da sitzt an vier Tagen in der Woche der
Herr Gruber und der macht alle Buchführungsarbeiten und Anmeldungen, die für Sie nötig sind.“ Dann
drehte sich deretwa fünfundsechzigjährige weißhaarige Mannum,strich zuerst mit derlinken, dannmit
der rechten Hand sein hoch oben an der Stirn ansetzendes weißes Haar zurecht und ging mit schnellen,
zappeligen Schritten wieder weg.
Zu Buchhalter Gruber ins Büro ging ich durch den wunderschönen Renaissancehof, der im oberen Be-
reich rundherum mit Säulenarkaden umgeben war, unter denen sich auf dem Hof halbrunde Nischen
befanden, in denen Tische mit weißen Tischdecken und Stühle mit grauen Kissen standen. Es war Mit-
tagszeit, und sehr fein wirkende Gäste in schönen Kleidern setzten sich in die Nischen und bestellten
Vorspeisen, Hauptspeisen und Wein. Ja, dachte ich, hier bin ich richtig. So habe ich es mir vorgestellt,
den von mir erwählten Beruf auszuüben. Dabei erinnerte ich mich daran zurück, wie ich neun Jahre zu-
vor, ein Jahr vor dem Eintritt in die Schule, schon einmal in dieser Stadt gewesen war, auf Besuch bei
Tante Mitzi, als ich gebratene Wurstscheiben mit Erdäpfelpüree gegessen und die elektrischen Eisen-
bahnen im Schaufenster des Spielzeugwarenladens bewundert hatte. Leider konnte ich Tante Mitzi nun
nicht mehr besuchen, da sie, schon bald nach jener oktoberlichen Truhenwagenfahrt mit unseren bei-
denvorgespanntenHaflingern,zusammenmitihrenbeidenerwachsenenKindernvonKremsnachWien
verzogen war.
Herr Brunner vom Hotel zur alten Post hatte eine um fünfundzwanzig Jahre jüngere Frau geheiratet und
imAltervonsechzigJahrenmitihrnocheinenSohnbekommen:Karli.Karli,der,obwohlerstfünfJahre
alt, mittlerweile schon in die erste Klasse ging, hatte sich nach einigen Tagen gleich mit mir angefreun-
det. Wenn er von der Schule nach Hause kam, wollte er gerne Fahrrad fahren, was ihm sein fünfund-
sechzigjähriger Vater, der ihn abgöttisch liebte, jedoch nicht erlaubte. Er durfte nur in Begleitung Fahr-
radausflüge machen. Zwei- bis dreimal in der Woche bat Karli mich also, in meiner Zimmerstunde, also
meiner freien Zeit zwischen drei und sechs Uhr nachmittags, mit ihm ins nahe gelegene Mautern auf
der anderen Donauseite zu radeln. Er mit seinem wunderschönen leichten Rennrad und ich mit einem
alten, schwergängigen Herrenfahrrad. Herr Brunner undseine etwa vierzigjährige Frau, die ihn trotz des
großen Altersunterschiedes aus vollem Herzen liebte, dankten es mir mit Zuneigung und Herzlichkeit.
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