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verschiedene Aluminiumtöpfe gefüllt, diedannderHäftling gestapelt vorsichhertrug.Derachtunddrei-
ßigjährige Herr Preiser erschien stets in einem abgetragenen grauen Anzug mit einer gleichfalls grauen
undamKnotenstarkabgegriffenenKrawattezwischenzweiinverschiedeneRichtungengebogenenund
an den Spitzen ausgefransten Hemdkrägen. Sein schwarzes, streng gescheiteltes Haar war mit Brillanti-
ne geglättet und sein ebenso schwarzer Bartwuchs war unregelmäßig rasiert. Der verheiratete Vater von
zwei Kindern unterhielt sich gerne mit dem dunkelblonden und nach Bratendunst riechenden fünfund-
zwanzigjährigen Küchenmädchen Maria, das aus Böhmen stammte, wobei kein Zweifel an seinen deut-
lich sexuellen Absichten bestand.
Sein Buhlen um ihre Gunst konnte sich stundenlang hinziehen, währenddessen wurde das bereits in die
verbeulten Blechtöpfe eingefüllte heiße Mittagessen der Gefangenen regelmäßig wieder kalt. Abermals
dachte ich an meinen Stiefvater, der wegen des von ihm verschuldeten Motorradunfalls drei Wochen im
Gefängnis gewesen war und bestimmt ebenfalls dieses breiige, fraßähnliche, erkaltete Essen vorgesetzt
bekommen hatte, und in diesem Augenblick tat er mir sogar ein wenig leid. Ebenso bemitleidete ich den
stundenlang die Blechtöpfe mit beiden Händen haltend ausharrenden Arrestanten. Warum, dachte ich,
wirft er dem Aufseher die Töpfe nicht einfach an den Kopf und läuft weg? Preiser war ganz von seinem
Gebalze um das Küchenmädchen eingenommen und dadurch abgelenkt, und so hätte der Häftling die
günstige Gelegenheit zur Flucht nutzen können.
Als ich eines Tages zum zwanzigsten Mal von der Gaststube in die Küche kam, um die bei den Gästen
abservierten leeren Teller in die Abwasch zu bringen, und Herrn Preiser noch immer mit dem Gefan-
genen, der mir mit traurigen Augen einen verzweifelten Blick zuwarf, stehen und mit Maria reden sah,
fasste ich allen Mut zusammen und fragte Herrn Preiser, ob er denn kein Mitleid mit den hungrig im
Gefängnis auf ihr Essen wartenden Arrestanten hätte, da schaute er mich für einen kurzen Moment ver-
dutzt an, bekam aber sofort einen starren Gesichtsausdruck, der mich wieder einmal an meinen wüten-
den Stiefvater erinnerte, und beschimpfte mich und den Häftling auf so unflätige Weise, dass wir beide
Angst bekamen. All das war mir sehr zuwider, ekelte mich an.
EinrechtgutesVerhältnis hatte ichallerdings zuderMuttervonHerrnStrudler,derSeniorchefin -jener
schwerhörigen Frau, der ich bei meiner Ankunft zwei Monate zuvor um acht Uhr früh als Erstes begeg-
net war. Sie war immer nett zu mir, und ihren Humor liebte ich sehr. Wenn ihre Bartstoppel besonders
lang waren und sie keine Zeit zum Abrasieren hatte, sagte sie zu mir: „Sei froh, Bub, dass du dich noch
nicht rasieren brauchst“; ein andermal zeigte sie auf ihre verkrusteten Schnittwunden und meinte: „Wo-
für mich der Herrgott mit diesem verflixten Bart bestraft hat, so dass ich manchmal aussehe wie der Zi-
geunerbaron,werdeichhoffentlichimHimmelerfahren.“WennichSonntagNachmittagetwasvorhatte,
ließ sie mich gehen und machte den Bierausschank alleine. Ihren Sohn mochte sie so wenig wie ich.
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