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In seinem Buch Industrial Resources of Ireland (1844) untersuchte der Chemiker und
Präsident der Royal Irish Academy, Robert Kane, die Mineralvorkommen seines Landes, deren
Qualität er für minderwertig hielt. Kohle wurde im Südwesten entdeckt, aber die Flöze lagen zu
eng beieinander, um industriell erschlossen werden zu können. Eisenminen existierten im Osten,
Kupfer gab es im Süden der Insel. Konkurrenzfähig gegenüber der Importware vom europäischen
Kontinent waren sie nicht. Die erstaunlich schwache Industrialisierung Irlands im 19. Jahrhundert
allein mit den fehlenden Rohstoffvorkommen zu erklären, wäre jedoch verkürzt. Anteil daran
hatten auch die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von Großbritannien, die schwache
Tradition nicht-agrarischer Berufsfelder und die dominante Rolle der katholischen Kirche. Auch
landwirtschaftliche Industrien im Süden und Westen Irlands entwickelten sich nur sehr langsam.
Dazu gehörten Brauereien und Whiskeybrennereien, die seit 1838 erhebliche Einbußen
hinnehmen mussten, als der Kapuzinermönch Theobald Mathew eine Bewegung gegen den
Alkoholismus ins Leben rief, mit der er bis nach England und Amerika wirkte; die Trunkenheit
war traditionell ein ernsthaftes Problem in Irland.
Seit den 1850er Jahren konzentrierte sich das Brauwesen in wenigen
Familienunternehmen. Fortan zählte die Familie Guinness zu den reichsten Familien Irlands und
zu den größten Wohltätern Dublins. Benjamin Guinness spendete 150.000 Pfund für die
Restaurierung der St. Patrick's-Kathedrale, sein Sohn Edward finanzierte mit 250.000 Pfund die
Auflösung der Slums von Dublin und den Bau von Dubliner und Londoner Arbeitersiedlungen.
Das waren zu dieser Zeit fast unermessliche Summen. Philanthropie und Kommerz waren zwei
Seiten derselben Medaille. Teile seiner riesigen Gemäldesammlung vermachte Guinness dem
Kenwood House im Londoner Stadtteil Hampstead. Der Kontrast von allmählich wachsender
Prosperität einer Minderheit und bleibender Armut der Mehrheit trug jedoch zur politischen und
kulturellen Spaltung Irlands bei.
Traditionell hatte der Außenhandel sich vorwiegend auf Leinen und Wolle konzentriert
und in den Jahren vor der Hungerkatastrophe eine starke Ausdehnung im Nahrungsmittelsektor
erfahren. Zwischen 1810 und 1825 hatte der Leinenexport von Ulster nach England um über
100 % zugenommen, und um 1830 führte Irland über 700.000 Tonnen agrarischer Produkte nach
England aus. Unter anderem war Napoleons Kontinentalsperre (1806) für diese Intensivierung
des Handels verantwortlich. 28 % aller Importe und Exporte wurden über den Dubliner Hafen
abgewickelt, etwa ebenso viel über Cork und Waterford, die sich auf Nahrungsmittel
spezialisierten. Diese Spezialisierung wurde ihnen jedoch im Zuge der Ernteausfälle in den
frühen 1840er Jahren zum Verhängnis. Während nördliche Hafenstädte wie Belfast und
Londonderry von der Krise relativ unberührt blieben, traf es westliche wie Galway und Sligo
besonders hart.
Seit den 1850er Jahren exportierte Irland weniger Butter und Fleisch, dafür wuchs der
Handel mit Getreide und Vieh. Die Schiffbauindustrie im Norden verzeichnete Gewinne, bis hin
zur spektakulären Produktion des Luxusdampfers «Titanic» durch die Belfaster Werft Harland &
Wolff Anfang des 20. Jahrhunderts. Nach Irland eingeführt wurden Zucker, Tabak und Tee.
Insofern war die Insel in das Handelsnetz zwischen Mittelamerika und Großbritannien fest
integriert.
Daher war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein dichtes Netz an
Schifffahrtskanälen entstanden. Fast der gesamte Warentransport von den Hafenstädten ins
Inland wurde über die neuen künstlichen Wasserwege bewerkstelligt. Die größten unter ihnen
waren der Royal Canal (1817) und der Grand Canal (1835) in der Ost-West-Achse sowie der
Ulster Canal, der Belfast mit der Mitte der Insel verband. Dank geringer Höhenunterschiede in
seinem besiedelten zentralen Tiefland eignete sich Irland gut für den Kanalbau. Dass der
Personentransport in den allmählich besser erschlossenen Regionen stetig zunahm, war der
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