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einseitiger Ernährung vorhersagten. Doch eine zeitgenössische Abneigung gegenüber staatlicher
Intervention in die Kräfte des freien Marktes machte das Unglück unabwendbar. Ansonsten hätte
Großbritannien in den USA Getreide kaufen können, wo es 1846 eine Rekordernte gab.
Als Freihandel wurde gewöhnlich eine Politik beschrieben, welche die Kräfte des Marktes
sich selbst regulieren ließ, mithin Schutzzölle wie z.B. auf Getreide (Corn Laws) unnötig machte.
Auf Irland bezogen, war diese Politik prekär, wie Mill schrieb ( Chapters and Speeches of the
Irish Land Question , 1870). Auch mischte der Staat sich nicht in das Geschäft der Grundbesitzer
ein, die für ihre Probleme - Überteuerung der Pacht und Vernachlässigung ihrer Fürsorgepflicht
- selbst aufzukommen hatten. Das brachte das nationalistische Freeman's Journal in seiner
Ausgabe vom 24. Juni 1851 mit den Worten auf den Punkt, trotz der Poor Laws überlasse der
Staat die Armen Irlands ihrem Schicksal. Er tat das im Übrigen auch in den Elendsvierteln von
London und Manchester.
Wirtschaft und Infrastruktur
Was die Krise in der Mitte des Jahrhunderts verschärfte, war die Kombination aus ihrer
zeitlichen Zuspitzung und ihrer geographischen Verdichtung. Dort, wo Armut und
Überbevölkerung herrschten, war sie besonders schlimm. Mehr und mehr Menschen waren hier
von den Erträgen von immer weniger Land abhängig. Wo Getreide angebaut oder Vieh gehalten
werden konnte wie im fruchtbaren Osten und Südosten der Insel, war die Lage besser als im dicht
besiedelten, unfruchtbaren Westen. Im südwestlich von Dublin gelegenen Kildare waren 85 %
des Landes anbaufähig, und im Durchschnitt lebten hier 187 Menschen auf einer Quadratmeile.
Im westlichen Mayo dagegen gab es nur 36 % Ackerland bei etwa 475 Menschen pro
Quadratmeile. Im nördlichen Ulster hatte die Textilindustrie die Landwirtschaft an Bedeutung
überholt und die Region gegen Agrarkrisen immunisiert.
Eine Konsequenz, die man ab den 1850er Jahren aus der Hungersnot zog, war die
Vergrößerung der Bauernhöfe und ihrer Felder. Mit der Professionalisierung der Landwirtschaft
nahm der in diesem Sektor beschäftigte Anteil der Bevölkerung ab. 1841 waren es noch 66 %
gewesen, 20 Jahre später hingegen nur noch 42,6 %. Die überwiegende Mehrheit verlegte sich
auf das Halten von Milchvieh oder z.B. die Produktion von Schinken, Lachs, Bier und Whiskey.
Doch lernte man aus der Hungerkatastrophe auch insofern, als Monokulturen die Ausnahme
wurden.
Mitte des 19. Jahrhunderts waren 40 % der Bevölkerung berufstätig, doch arbeitete nur
eine Minderheit in der Industrie oder im Transportwesen. In den Belfaster Baumwollfabriken
wurden 1811 bereits 15 Dampfmaschinen betrieben, zwölf Fabriken arbeiteten mit Wasserkraft,
allein sechs setzten noch Pferde für ihre Maschinen ein. Durch seinen Hafen war Belfast
begünstigt, weil es Steinkohle aus Schottland und England, Holz, Flachs und Hanf aus
Nordamerika und dem Baltikum sowie Wein, Olivenöl und Früchte aus dem Mittelmeerraum
einführte und gleichzeitig Leinen exportierte. Obwohl Belfast mit anderen Leinen- und
Baumwollproduzenten im britischen Freihandelsbereich konkurrierte, namentlich mit solchen aus
Lancashire, nahm es bald eine führende Stellung in der internationalen Wirtschaft ein. Bis 1911
wuchs seine Einwohnerzahl auf fast 400.000. In der Nähe der Fabriken, Werften und Bahnhöfe
entstanden Wohnviertel für Arbeiter, deren charakteristische, zweigeschossig genormte Häuser
einförmige Reihen bildeten. Vergleichbare Wohnhaustypen finden sich in allen viktorianischen
Ballungsräumen. Parallel dazu fand ein Verfall von innenstädtischer Bausubstanz aus dem 18.
und frühen 19. Jahrhundert statt.
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