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Separatismus nun erstmals als denkbare Forderung auf ihre Fahnen. Denn mit der Catholic
Association war ein Weg geschaffen, über lokale Priester die Basis zu erreichen, während der
Dachverband mit Landwirten und einer städtischen Oberschicht aus wohlhabenden
Geschäftsleuten, Journalisten und prominenten Rechtsanwälten wie O'Connell bestückt werden
konnte.
Mit dem Gesetz von 1829 hatten die Katholiken das Londoner Establishment erreicht. Für
die folgenden Jahrzehnte war es jedoch verhängnisvoll, dass sich ihr Lager in pazifistische
Konstitutionalisten und radikale Separatisten spaltete. Die Ersteren unter Führung O'Connells
strebten einen Kompromiss mit England an. Das Monster-Meeting in Clontarf im Oktober 1843
sagte O'Connell wieder ab, nachdem die englische Regierung mit einer militärischen Invasion
gedroht hatte. In diesem Jahr hatte es bereits zahlreiche derartige Treffen gegeben, in Trim,
Limerick, Kells, Cork, Cashel und Mallow, bei denen sich selten weniger als 150.000 Menschen
versammelt und gegen die Union protestiert hatten. In Clontarf war erneut ein irischer
Gedächtnisort gefunden: Hier hatte der legendäre König Brian Boru 1014 seine Heimat gegen die
Normannen verteidigt und war in einer der blutigsten Schlachten der irischen Geschichte
gefallen. Ein Kernbegriff des Mittelalters, die Invasion, wurde somit deckungsgleich mit der
bekämpften Union von 1801. Aus diesem Grund erhielt die ferne Geschichte so große Macht
über die Politik der Gegenwart.
Thomas Moore, der dem Umkreis von Lord Byron angehörte, machte sich ebendas
zunutze. Der Autor der Irish Melodies (1807-1834) war wohl der bedeutendste irische Dichter
vor dem Zeitalter von Yeats. In dieser Liedersammlung funktionalisierte er historische Motive als
politische Symbolträger, allen voran die Harfe. Die kulturelle Einzigartigkeit seines Landes, so
Moore, sei das Ergebnis einer Abfolge nationaler Freiheitskämpfer. Solche Rückgriffe auf die
Vergangenheit waren nicht zuletzt dem Dilemma geschuldet, dass kaum andere
Identitätsangebote zur Verfügung standen, ein Problem, mit dem auch die extrem
emotionalisierte Bewegung Young Ireland konfrontiert wurde.
Unter ihrem Chefideologen und Balladendichter Thomas Davis kämpfte diese Bewegung
gegen O'Connells Konstitutionalismus und sorgte für die zunehmende Akzeptanz von Gewalt als
politischem Mittel. Die Zeitung The Nation wurde ihr Organ, historische Schlachten und
Rebellionen beliebte Gegenstände der politischen Debatte. Bemühungen um Ausgleich und
Verständigung zwischen Großbritannien und Irland, wie man sie noch eine Generation früher bei
der Schriftstellerin Maria Edgeworth in deren Roman The Absentee (1812) beobachten konnte,
waren nun gründlich gescheitert. Als im Februar 1848 in Paris die Revolution ausbrach,
gratulierten William Smith O'Brien und andere Mitglieder der Irish Confederation, der
Nachfolgerin des Young Ireland, den Bürgern der Französischen Republik. Sie wünschten den
Anschluss an Europa - aber sie hatten ihn verpasst. Denn während die Freiheitsbewegungen der
europäischen Industriegesellschaften von klassenkämpferischen Impulsen motiviert waren, wurde
in Irland endgültig die Konfession zum treibenden Motor.
Die große Hungersnot 1845-1849
Am 1. Juli 1848 bezogen 833.889 Menschen Armenunterstützung, das war die höchste
Zahl von Empfängern an einem einzigen Tag. Bis zum Oktober desselben Jahres wurden 16.686
Kleinbauern von ihren Höfen vertrieben, weil sie außerstande waren, die Pacht zu bezahlen. Im
November brach die Cholera aus. Einen Monat später veröffentlichte Charles Edward Trevelyan
seinen empörenden Bericht The Irish Crisis mit der Empfehlung, Irland solle weiterhin
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