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Den insgesamt 80 bis 100 Kleinkönigen kam eine nahezu sakrale Funktion zu. In der
mittelalterlichen Literatur werden die Wohltaten des Königs und seine heroischen soldatischen
Tugenden gepriesen. Tatsächlich gehörte es zu seinen zentralen Aufgaben, seine Provinz im
Inneren zu befrieden, Gesetze zu erlassen, Steuern zu erheben und Land unter seinen
Gefolgsleuten zu verteilen. Letzteres geschah zumeist über einen Freibrief, für den der König im
Gegenzug militärische Dienste einforderte. Hierin unterschied sich der Feudalismus Irlands kaum
von dem im übrigen Europa der Zeit.
Weltliche und geistliche Herrschaft
Im Jahr 1101 wurde die Festung Cashel in der Grafschaft Tipperary zum Erzbischofssitz.
Wie auch die vorkeltische Stätte Tara in der Grafschaft Meath, seit dem 5. Jahrhundert Hauptsitz
der Dynastie der O'Neills, war dieser Ort mehr als nur das Machtzentrum eines
Provinzialherrschers, sondern besaß unschätzbaren symbolischen Wert. Die Kirche gab dem
König ihren Segen, weihte sein Amt und erwartete im Gegenzug von ihm, gegen äußere Angriffe
und innere Unruhen verteidigt zu werden. Ob es aber im Zeitalter der Wikinger-Invasionen
bereits ein übergeordnetes, ganz Irland beherrschendes Königtum gegeben hat, wird von
Historikern intensiv diskutiert. Zumindest hätte es das Bewusstsein von einer geeinten Insel zur
Voraussetzung gehabt.
In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gelang es dem König von Leinster, Dermot
MacMurrough, im Kampf gegen den König von Connacht, Rory O'Connor, nicht, die blühende
Machtzentrale Dublin zu seinem Verbündeten zu machen. Er bat daher den englischen König
Heinrich II. um Hilfe, lud somit gewissermaßen zur Invasion ein und öffnete Irland politisch und
militärisch dem anglo-normannischen Feudalismus. In dem Moment, in dem die Einheit der Insel
zum Greifen nahe war, wurde sie den regionalen Rivalitäten geopfert. Im Jahr 1169 setzte die
Eroberung unter Gilbert Fitz Richard, genannt Strongbow, ein, 1172 wurde Heinrich II. auf der
Synode von Cashel zum Alleinherrscher über Irland ernannt.
Als die Anglo-Normannen im 12. Jahrhundert in Irland einfielen, fanden sie viele
Elemente der von den Wikingern geschaffenen Infrastruktur vor, die für eine zügige auch
administrative Durchdringung des Landes vorteilhaft waren. Anders als in Schottland, wo sie sich
als Bauern und Fischer niederließen, kontrollierten die Anglo-Normannen in Irland als Händler
und Seefahrer vor allem die Küsten. Siedlungen wie Galway, Waterford und Wexford wurden
rasch wohlhabende Umschlagplätze für Waren wie z.B. teure Seidenstoffe. Die frühchristliche
Gold- und Silberschmiedekunst profitierte davon ebenso wie der anglo-normannische
Festungsbaustil und die ornamentale Kunst der für Irland so typischen Hochkreuze. Durch den
feudalen Herrn - den englischen König, einen Adligen oder einen Bischof - erhielten die Städte
eine eigene Verfassung sowie eine Verwaltung und konnten nach einem längeren Zeitraum die
besonders begehrte städtische Freiheit erlangen. Diese gipfelte in der City-Würde und dem Recht,
den Bürgermeister zu wählen.
So hielt Irland Anschluss an das westliche Europa, wo ähnliche Entwicklungen
stattfanden. Eine kulturelle Einheit hat es indessen im Westen Europas nicht gegeben. Denn wie
in Wales blieben auch in Irland die als «barbarisch» wahrgenommenen Bewohner des «Celtic
fringe», d.h. der gälischen Randlagen, vom Prozess der Zivilisation ausgeschlossen. Der
religiösen Spaltung im 16. Jahrhundert durch Heinrich VIII. ging die soziale Spaltung im
Hochmittelalter voraus. Dieses Motiv spannt sich wie ein Bogen über den Zeitraum zwischen
1169 und 1534.
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