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szene. Zahlreiche Intellektuelle, darun-
ter auch viele Schriftsteller, flüchteten
ins Exil, die im Land gebliebenen wur-
den zum Teil deportiert. Millionen
Bücher, die zu Zeiten der ersten Estni-
schen Republik gedruckt worden wa-
ren, die Blütezeit der estnischen Litera-
tur, wurden vernichtet, der Besitz un-
erwünschter Literatur wurde hart be-
straft.
Einige Autoren schrieben im Exil
weiter, wie der Prosaist Karl Ristikivi
(1912-77), der den Roman „Nacht der
Seelen“ („Hingede öö“) schuf, oder
der Lyriker Bernard Kangro (1910-
1994). Andere, wie der Novellist Ju-
han Smuul (1921-71), versuchten im
Land, an die estnische Literaturtradi-
tion anzuknüpfen, was im Großen und
Ganzen allerdings erst nach Stalins
Tod allmählich gelang und auch dann
noch einen Balanceakt zwischen Zen-
sur und eigenständiger Literatur be-
deutete.
Bis heute gelten der Lyriker und Be-
gründer des absurden Theaters in Est-
land Paul-Eerik Rummo (geb. 1942),
die Schriftstellerinnen Ellen Niit (geb.
1928) und Viivi Luik (geb. 1946), der
Essayist Jaan Kaplinski (geb. 1941),
der spätere Präsident Lennart Meri
(1929-2006) und vor allem der große
Jaan Kross (geb. 1920) als bedeuten-
de zeitgenössische Schriftsteller. Kross,
der zu Sowjetzeiten deportiert wurde
und bis 1956 im Gulag bleiben muss-
te, ist der international bekannteste
und meistübersetzte estnische Schrift-
steller. Er wurde mehrfach für den Lite-
raturnobelpreis vorgeschlagen und mit
vielen hohen Auszeichnungen, darun-
ter dem Bundesverdienstkreuz, be-
dacht. Sein Zurückgreifen auf histo-
rische Stoffe - beispielsweise den est-
nischen Freiheitskampf gegen die
Deutsch-Balten - erlaubten ihm, die
Zensur zu überlisten und indirekte,
versteckte Kritik an den sowjetischen
Besatzern zu üben. Indem er auf histo-
rische estnische Persönlichkeiten zu-
rückgriff, bewahrte er das Selbstbe-
wusstsein der Esten über die Jahre der
Okkupation. Ein Beispiel dafür ist sein
Roman „Das Leben des Balthasar Rus-
sow“. Balthasar Russow (1536-1600)
war der erste Este, der die Landesge-
schichte („Livländische Chronik“) nie-
derschrieb, lange bevor sich eine eige-
ne estnische Literatur durchsetzen
konnte. Ein Aufgreifen dieser histori-
schen Figur war eine klare Zuwen-
dung zur eigenen Tradition und Natio-
nalität. Zu den bekanntesten Werken
Kross' zählen weiterhin die Romane
„Der Verrückte des Zaren“ und „Pro-
fessor Martens Abreise“.
Deutliche Kritik an den Sowjets
konnte erst kurz vor der erneuten Un-
abhängigkeit geäußert werden. Hierzu
zählt beispielsweise der Roman „Der
siebte Friedensfrühling“ von Viivi
Luik, die über ihre Kindheit im Stalinis-
mus schrieb. Nach der Unabhängig-
keit machte sich neben den zuvor be-
reits bekannten Schriftstellern auch Tõ-
nu Õnnepalu (geb. 1962), der unter
dem Pseudonym Emil Tode schreibt,
einen Namen. Er greift auf in Estland
noch recht tabuisierte Themen wie
Homosexualität zurück und verweist
auf die enge Verbundenheit Estlands
mit Europa. Sein Roman „Grenzland“
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