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Planungsamtes ablesen. 90) Bei den Freizeitaktivitäten, die außer Haus aus-
geübt werden - also im klassischen Männerraum -, steht auf dem traditi-
onsstarken Land der Besuch des Teehauses mit 13,8% des Freizeitvolu-
mens deutlich an der Spitze; in der modernen Einflüssen nacheifernden
Stadt werden dagegen nur 5,2% der Freizeit beim çay verbracht. Hier ist
das Teehaus (und vielleicht auch Keyif? ) nur mehr der zweitgrößte Posten
- die meiste freie Zeit (6,5%) wird auf das Einkaufen (also den Konsum!)
verwendet. Da „Shopping“ eine äußere, keyif aber eine innere „Aktivität“
darstellt, scheint die obige Vermutung gerechtfertigt, dass die moderne
Warenwelt den Freizeit-Sinn (und damit die Identitätssuche) immer äußer-
licher werden lässt.
Auch wenn die Zunahme an Freizeitausflügen in der Stadt (4,3%) eben-
falls eine zunehmende Mobilisierung (also Veräußerlichung der Aktivität)
anzuzeigen scheint, so betrifft das recht eigentlich nur den Autoausflug.
Soll heißen, dass man am Sonntagmorgen alles in den Kofferraum und die
Familie in den Fond packt, sich eine schöne Stelle sucht und dort bis zum
Abend sucuk (Würste) brät und sich nicht mehr von der Stelle bewegt. Am
Abend geht es dann wieder in einem Rutsch zurück, wobei leider immer
noch das Umweltbewusstsein keineswegs so ausgeprägt ist, dass man
auch das, was man nicht mehr braucht, wieder mitnimmt.
Die Menschen, die kein Auto besitzen (immer noch ein großes Prestige-
objekt), nehmen den Bus zum Stadtpark; die türkischen Metropolen, die
bei den neu einfliegenden westlichen Besuchern einen oft chaotischen
und nicht gerade sauberen ersten Eindruck hinterlassen, verfügen über er-
staunlich gut gepflegte Stadtparks. Der riesige Kültür Park£ in Izmir bietet
nicht nur Picknickflächen, er verfügt über eine Kirmes, Wasserspiele und
viele andere, recht moderne Annehmlichkeiten. Der Karaalio¤lu-Park£
hoch übe r der Bucht von Antalya ist mit seinen Blumenbeeten und Pal-
menreihen einer der schönsten Parks der Türkei. Und am Sonntag sind sie
alle voll, jeder sucht sich sein Plätzchen - um dann möglichst wenig zu
laufen. Denn - und das hat sich auch im dynamischer werdenden Westen
der Türkei noch nicht wesentlich geändert - die Türken wollen in ihrer
Freizeit sitzen.
Die Türken sind im modernen Sinne nicht gerade eine sportliche Nati-
on: Wer sich nicht bewegen muss, der sitzt. Die westliche Freizeitkultur,
die zwischen Joggen und Paragliding immer auf der Suche nach neuen
„Kicks“ ist, findet höchstens in den Städten des Westens einige schüchter-
ne Anhänger. Im ländlichen Anatolien wären Wanderer oder Jogger be-
staunte Kuriositäten, ja Verrückte, die laufen, ohne dass sie es müssen.
Hier ist die schönste Freizeitaktivität das Sitzen, die Frauen zu Hause, die
Männer im Teehaus - womit wir wieder bei Keyif wären.
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