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bart predigen, ja, die lebten in einer anderen Türkei, in einer anderen
Welt, mit der er nichts, oder fast gar nichts, zu tun habe. Und er verstehe
auch nicht, dass die deutsche Regierung islamistischen Vereinen und Or-
ganisationen, wie Milli Görü¥ und anderen, die doch auch in Berlin, Köln,
Dortmund und anderswo tätig seien, nicht einen Riegel vorschöbe.
Soweit Turgut. Selten habe ich in einem doch eher beiläufigen Gespräch
einen Westtürken so redegewandt und gleichzeitig entschieden die „rei-
ne“ Position der „säkularen“ Türkei vertreten sehen. Der Begriff Westtür-
ke ist dabei natürlich mehr als nur eine geografische Kategorie, er drückt
darüber hinaus eine kulturelle Identität aus, eine, die wie oben gut zu se-
hen, städtisch, kemalistisch und okzidental (westliche Lebensformen) aus-
gerichtet ist.
Türken wie Turgut können in ihrer Lebensphilosophie und -praxis in al-
ler Regel auf die ungeteilte Zustimmung und Parteinahme westlicher Be-
sucher und Touristen zählen, begegnen diese im Gespräch doch hier ih-
rer eigenen Lebenseinstellung. Dass die meisten Touristen/Besucher da-
bei gleichzeitig die kulturelle Differenz („orientalischer Zauber“) als
ästhetische Zierde und Konsumgut nicht missen möchten, ändert an der
als selbstverständlich empfundenen alternativlosen Gültigkeit der westli-
chen Lebensform nichts; man möchte im Urlaub halt etwas anderes se-
hen - was noch lange nicht heißt, dass man auch so leben möchte oder
könnte.
Wenn eine westliche Touristin in der Moschee bereitwillig ein Kopf-
tuch aufsetzt, bedeutet das wohl Respekt vor der fremden Kultur, kaum
aber deren Akzeptanz. Sie kann diese „Rolle spielen“, weil ihr westlicher
Individualismus davon ausgeht, dass jeder seine (zeitweilige) Rolle frei
wählen kann. Außerdem berührt das Kopftuchtragen als religiöses Sym-
bol ihre persönliche kulturelle Identität in aller Regel nic ht. Sie passt sich
sozusagen dem kulturellen „Code“ an und begreift ihn als eher äußer-
liche Erscheinung. Der dahinterliegende Ernst oder der inhaltliche Kern
des Symbols (die notwendige Verhüllung der Haare, sprich der weibli-
chen Sexualität) ist für sie in diesem Moment nicht real. Der moderne,
kulturinteressierte Tourist bewegt sich folglich wie in einem „Kaufhaus
der Kulturen“; man schaut sich interessiert um, spielt und testet einen
neuen Film, und wenn man genug davon hat, verlässt man das Kino ein-
fach wieder.
Für Turgut und für viele andere, ähnlich „westlich“ denkende Türken ist
die kulturelle Auseinandersetzung dagegen nicht nur eine alltägliche Rea-
lität, sie beinhaltet auch die elementar wichtige Frage nach der Identität
der heutigen Türkei. Dabei soll pauschal und in Anlehnung an die bereits
im Geschichtsteil herausgearbeitete Frontstellung der Türkei folgende The-
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