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Unterschiede zwischen diesen Gruppen sind teilweise beträchtlich, so-
dass ein Zaza einen Kurmanci kaum verstehen dürfte. Grotesk mag es zu-
dem erscheinen, dass auch die Sprache nicht immer ein sicheres Indiz für
die Zugehörigkeit zum Kurdentum darstellt, denn viele Kurden verfügen
aufgrund der Verfemung ihrer Idiome durch die türkische Öffentlichkeit
über eine viel bessere Kenntnis des Türkischen denn des Kurdischen. Dies
trifft sogar auf den Führer der militanten kurdischen Befreiungsorganisa-
tion PKK (s. u.), Abdullah Öcalan, zu, dessen Kurdisch-Kenntnisse als recht
lückenhaft gelten 28) .
Auch auf religiösem Gebiet stellen die Kurden keine homogene Ge-
meinschaft dar. Zwar bekennt sich die Mehrheit - etwa 70% - zum sunni-
tischen Islam, aber auch die alevitischen Kurden stellen mit über
20% 29) eine große Gruppe dar. Darüber hinaus gibt es christliche Restbe-
stände sowie die apokryphe Sekte der Yezidi, deren eigenwilliger Glaube
auch vorislamische Elemente enthält und deren kultische Geheimhal-
tungspraxis jahrhundertelang Anlass zu Verunglimpfungen („Teufelsanbe-
ter“) und Verfolgung abgab.
Die osmanischen Sultane begnügten sich in Kurdistan mit der Aner-
kennung ihrer Oberhoheit, überließen aber die faktische Machtausübung
weiter den lokalen kurdischen Fürsten und Clanführern. Diese waren im
großen und ganzen zuverlässige Vasallen des Sultans, die an der Ostgren-
ze des Reiches zusammen mit den Türken gegen den persischen Nach-
barn die Grenzwacht hielten. Da die Mehrheit der Kurden als gläubige
Sunniten sich in religiöser Gemeinschaft (islamische Umma bzw. Millet)
mit den Türken sahen und die Stellung des osmanischen Sultans als Kalif
nicht in Zweifel zogen, kamen die Kurden jahrhundertelang gar nicht auf
die Idee, sich als ein besetztes Volk zu verstehen; die religiöse Identität
war das entscheidende Merkmal, nicht das völkisc he.
Von dieser religiösen, kalifatstreuen Solidarität konnten sogar noch die
Kemalisten profitieren, die in ihrem Befreiungskampf dank einer religiösen
Terminologie auch die kurdischen Führer auf ihre Seiten zu bringen ver-
standen. Erst als Atatürk nach dem Sieg seine nationale und antireligiöse
Revolution offen zutage treten ließ, war es mit der alten religiösen Kohabi-
tation vorbei, denn das einigende Band - die Religion - wurde zerschnit-
ten und ihr von Türken wie Kurden gleichermaßen verehrter Repräsentant
- der Kalif - aus dem Land gejagt. Der kemalistische Nationalismus gebar
so zwei Volksnationen: die türkische - gewollt - und die kurdische - un-
gewollt. Der Kampf um die Identität und Selbstbestimmung begann.
Im Friedensvertrag von Lausanne (1923) erkannten die Kemalisten le-
diglich den christlichen Griechen und Armeniern wie auch den Juden ei-
nen religiösen Minderheitenstatus zu. Dieser sicherte ihnen das Recht auf
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