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bauweise. Pflicht war dabei eine Aus-
führung mit Satteldach - für die Na-
tionalsozialisten bildete der Verzicht
auf „undeutsche“ Flachdächer den
Kern ihrer Ablehnung moderner Bau-
formen (www.kochenhof.de).
Im Zweiten Weltkrieg wurde Stutt-
gart durch Luftangriffe weitgehend
zerstört. In der Nachkriegszeit wie-
derholte sich beim Wiederaufbau
die ideologiegeladene Auseinander-
setzung um Traditionalismus und
Fortschritt - manches fiel erst jetzt
der Spitzhacke zum Opfer. Mit dem
nüchternen Rathaus beispielswei-
se, das 1955 das nur teilweise zer-
störte neugotische Rathaus ersetz-
te, haben sich viele Stuttgarter im-
mer noch nicht angefreundet. Nicht
die originalgetreue Rekonstruktion
der in Trümmern liegenden alten Re-
sidenz war das Ziel, sondern der Auf-
bruch in eine neue Zeit. Bis Mitte der
1950er-Jahre etwa wurde eine leb-
hafte Diskussion über das weitere
Schicksal des abgebrannten Neuen
Schlosses geführt. Die Pläne reichten
vom völligen Abriss zugunsten eines
Hotels oder des Sitzes der Bundesre-
gierung bis zum Wiederaufbau und ei-
ner Nutzung als Museum. Erst 1957,
nach heftigem Protest von Bürgern
und Denkmalschützern, fiel im Land-
tag die Entscheidung, das historische
Gebäude zu rekonstruieren. Eine der
größten Bausünden ist sicher der Ab-
riss des Kaufhauses Schocken An-
fang der 1960er-Jahre. Das von Erich
Mendelsohn entworfene Gebäude, ei-
gentlich ein Architekturdenkmal ers-
ten Ranges, musste einem Funktions-
bau weichen, der längst auch schon
wieder abgerissen wurde.
Neben den ohnehin internatio-
nal beachteten Solitären wie dem
Fernsehturm Ò und der Liederhal-
le (s. S. 42) sind noch einige weitere
Beispiele der Architektur der 1950er-
Jahre wiederzuentdecken und nicht
alles, was in dieser Ära entstand, war
nur monoton, funktional und der Not
der Nachkriegszeit geschuldet. Das
Ensemble der Häuser rund um den
Marktplatz Ö etwa, das noch der
historischen Platzstruktur folgt, ent-
wickelt mit seinen farbigen Fassaden
einen ganz eigenen Reiz.
Vor allem das Ideal einer „auto-
gerechten“ Stadt prägte in der Auf-
bauzeit viele Entscheidungen. 1955
musste etwa das historische Fried-
richsbau-Varieté dem sechsspurigen
Ausbau der Theodor-Heuss-Straße
weichen. Auch die Konrad-Adenauer-
Straße zerschneidet die Innenstadt in
Längsrichtung und 1963 wurde das
1944 ausgebrannte Kronprinzenpa-
lais abgerissen, um den Verkehr un-
terirdisch durch die Planietunnelröh-
ren zu führen. Diese erhielten einen
oberirdischen Betondeckel, den Klei-
nen Schlossplatz, mitsamt einem
von Architekten entwickelten Bebau-
ungskonzept. Das 1968 fertiggestell-
te Beton-Ensemble wurde erst gefei-
ert, dann als städtebaulicher Schand-
fleck kritisiert. Mit dem Bau des 2005
eröffneten Kunstmuseums Ð mit-
samt neuer Treppenanlage erfuhr
dieser zentrale Stuttgarter Ort eine
weitere Neugestaltung, die nach an-
fänglichen Kontroversen heute ein-
hellig begrüßt wird.
Wie wenig bieder die Stadt sich im
21. Jahrhundert zeigt, beweisen ins-
besondere die Neubauten der letz-
ten Jahre. Vor allem einige der Mu-
seen haben Architekturgeschichte
geschrieben: die Staatsgalerie Ü
gilt als bedeutendes Werk der Post-
moderne, das Mercedes-Benz-Muse-
um Ô als bauliche Meisterleistung
der „Digitalmoderne“. Nicht minder
spektakulär wirkt das Porsche-Muse-
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