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geschliffenen Sprache beschreibt er die so-
zialen Umstände: lebenshungrige, aus der
Gesellschaft ausgestoßene Streuner, die
ständig auf der Suche nach kleinen Gau-
nereien sind. Pasolinis atmosphärische
Beschreibung der seelenlosen Hochhaus-
siedlungen gilt noch heute: „Marcello da-
gegen wohnte in den Hochhäusern, noch
ein bißchen weiter weg: Sie sahen wie rie-
sige Montagestraßen aus, mit Tausen-
den von Fenstern, in Reihen, in Kreisen,
in Diagonalen, zur Straße, zu den Höfen,
zu den Treppen raus, nach Norden oder
Süden gelegen, in praller Sonne oder im
Schatten, geschlossen oder weit geöffnet,
mit oder ohne flatternde Wäsche, still oder
vom Lärm der Frauen oder vom Geschrei
der Kinder widerhallend.“
An den Aggressionen der Menschen, die
er beschrieb, ist er selbst gestorben; Paso-
linis Denkmal ist heute am Stadtrand von
Ostia zu besichtigen. Es erinnert an das
Verbrechen, dem er 1975 zum Opfer fiel.
Der Strichjunge Pelosi, selbst aus einer
Borgata stammend, hatte den homosexu-
ellen Schriftsteller mit einem Brett erschla-
gen und anschließend mit seinem Auto
überfahren. Die Welt, die Pasolini auf sei-
ne Art und Weise liebte, hatte sich auf bru-
tale Weise gegen ihn gewendet.
In den vergangenen Jahren hat sich die
Situation gegenüber den Zuständen der
1950er-Jahre in den Vorstädten Roms ver-
bessert. Es wurden Straßen und Schulen
gebaut und die illegale Bautätigkeit wur-
de durch Gesetze eingeschränkt.
In den Borgate lebt aber auch heute
noch jener Teil der römischen Bevölke-
rung, den der Tourist nicht zu sehen be-
kommt. Nicht wenige von ihnen stammen
aus Familien, die seit mehr als sieben Ge-
nerationen in Rom leben und somit als
„echte Römer“ gelten. In ihrer Kleidung
und ihrem Auftreten haben sie wenig zu
tun mit dem Klischee des immer fröhli-
chen und gut gekleideten Römers. Auf je-
den Fall hat sich die Lage der einheimi-
schen Bevölkerung in den Borgate in den
letzten Jahren deutlich verbessert. Umso
schlimmer ist die Situation der afrikani-
schen Einwanderer geworden. Die italie-
nische Regierung gewährt relativ großzü-
gig Asyl, danach kümmert sie sich aber
nicht mehr um die Asylanten.
In die Schlagzeilen geriet in den ver-
gangenen Jahren der von seinen Bewoh-
nern so genannte Palazzo Salam - der
Palast des Friedens. Das heruntergekom-
mene Hochhaus mit seiner Glasfassade be-
findet sich in direkter Nachbarschaft der
Borgate, früher beherbergte es eine Fakul-
tät der römischen Universität. Seit 2006
leben hier Somalier, Eritreer und Sudane-
sen, die vor Krieg und Verfolgung flohen
und über die Insel Lampedusa nach Itali-
en gelangten. Männer und Frauen schla-
fen dicht gedrängt auf Matratzenlagern,
insgesamt bevölkern etwa 1250 Men-
schen das Gebäude. Der Strom wird von
der Comune di Roma des Öfteren abge-
stellt, Gas und Wasser sind es längst. Die
hygienischen Zustände sind unerträglich.
Die meisten Bewohner sind Illegale (ital.:
„clandestini“), die sich als Tagelöhner ver-
dingen oder sich mit kleinen Gaunereien
über Wasser halten. Scheinbar wieder-
holt sich die Geschichte doch: Sie machen
genau das, was die süditalienischen Ein-
wanderer in den 30er-Jahren des vergan-
genen Jahrhunderts taten.
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