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bauweise wurden im Süden und Südos-
ten, in der sogenannten römischen Cam-
pagna, in der es außer Schirmpinien und
Gräbern aus der Kaiserzeit nichts gab, die
sogenannten „borgate“ (dt. Vorstädte) er-
richtet. Es handelte sich um ebenerdige
Behausungen mit Wänden aus Gipskar-
ton, ohne sanitäre Anlagen und Wasser-
anschluss. Versorgungseinrichtungen gab
es nur in Gemeinschaftsbaracken, die so-
zialen und hygienischen Umstände waren
entsprechend jämmerlich.
So entstanden in der römischen Campa-
gna die ersten zwölf Vororte Roms mit Na-
men, die einem Ferienprospekt entstam-
men könnten, die aber in Wirklichkeit die
Ärmsten der Armen Roms beherbergten:
Acilia, San Basilio, Prenestina, Gordiani,
Trullo, Tiburtino III., Pietralata, Tufello,
Val Melaina, Primavalle, Tor Marancio
und Quarticciolo.
Die ausgesiedelten Römer verelende-
ten in den viele Kilometer außerhalb der
Stadt liegenden Siedlungen immer mehr.
Im Zentrum des schon damals touristi-
schen Rom hatten sich ihnen immer noch
bescheidene Verdienstmöglichkeiten gebo-
ten, hier auf dem Land waren sie von al-
lem abgeschnitten.
Noch weitaus schlechter war die Situa-
tion der zugewanderten Süditaliener, die
auf der Suche nach Arbeit in die Haupt-
stadt gekommen waren, aber nie Fuß fas-
sen konnten. Ihre Bretterbuden, die sie in
der römischen Innenstadt errichtet hat-
ten, wurden von den Staatsorganen ab-
gerissen. Auch sie wurden in die Borgate
ausgesiedelt, ihnen wurden aber nicht ein-
mal Unterkünfte bereitgestellt. Man über-
ließ es ihnen selbst, sich aus dem in der
Campagna reichlich vorhandenen Bau-
schutt Hütten und Verschläge zu zim-
mern. Die Behörden achteten allerdings
darauf, dass solche Slums nur an Stellen
entstanden, die von den großen Zufahrts-
straßen aus nicht sichtbar waren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es
dann 35 offizielle, von Mussolini errich-
tete Borgate sowie 87 illegale. Die soziale
Verelendung nahm immer dramatischere
Ausmaße an. Die Fotos, die in den 1950er-
Jahren in den Borgate entstanden, zeigen
Kinder in zerrissenen Kleidern, die über
verschlammte Wege laufen. Aus Holzbret-
tern errichtete Verschläge dienten als Gar-
küchen für die Bewohner.
Jetzt entstanden auch immer mehr ille-
gal errichtete Hochhäuser in den Borgate.
Die Behörden drückten beide Augen zu,
schließlich nahm ihnen die Bau- und Bo-
denmafia so die Arbeit ab.
In den 1970er-Jahren errichtete die
staatlich-kommunale Wohnungsbauge-
sellschaft eine Reihe legaler Vorstädte.
Wer heute von Rom aus in das am Meer
gelegene Ostia fährt, wird entlang der Via
del Mare die vielen Hochhäuser aus dieser
Zeit sehen, die ohne jedes planerische Kon-
zept willkürlich in die Landschaft gesetzt
wurden. Das schlimmste Produkt aus die-
ser Zeit ist der einen Kilometer lange Pa-
lazzo Corviale in der Borgata Portuense,
der Ende des 20. Jahrhunderts immer wie-
der in den Schlagzeilen der römischen Lo-
kalzeitungen als sozialer Brennpunkt auf-
tauchte.
In den 1950er-Jahren zog aus dem
norditalienischen Friaul der Schriftsteller
und Filmregisseur Pier Paolo Pasolini mit
seiner Mutter nach Rom. Jahrelang lebten
die Zuwanderer in einer Borgata. Mit sei-
nem Roman „Ragazzi di vita“ hat er den
römischen Vorstädten ein literarisches
Denkmal gesetzt. In einer rohen und un-
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