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So wie Film auf Fläche projiziert wird, stülpen wir L. A. unsere Ideen über. Die
Stadt ist in der Tat oberlächlich, ihre Bewohner sind es jedoch nicht mehr als die
Leute in anderen Städten - diese hematik werde ich später noch ausführlicher
untersuchen.
Die Flächigkeit liegt in der Natur der Stadt. Sie ist, immer wieder muss man sich
das vergegenwärtigen, wenn man L. A. begreifen will, eine Stadt der Bewegung.
Zeichen, Botschaten, Signale müssen aus der Bewegung heraus erkannt werden.
Soll heißen, aus dem fahrenden Auto. Damit dies auch für die Werbung funk-
tioniert, werden den Hochhäusern Leinwände übergestreit wie Strümpfe, so-
genannte Supergraphics . Werbetafeln stehen quer zur Straße, stellen sich dem
Vorbeifahrenden optisch in den Weg. Aber weil man sowieso kaum noch hin-
guckt, müssen die Werbungen aggressiver, größer oder heller werden, und so ver-
giten nun zunehmend elektronische Billboards das Gesicht der Stadt. Diese
Lichttafeln tun weh. Im wahrsten Sinne des Wortes. 449.280 Leuchtdioden pro
Tafel, von deren Verbrauch dreizehn Haushalte mit Strom versorgt werden kön-
nten. Sie verpesten die Stadt nicht nur mit schmerzhat hellem Licht, sondern auch
mit Botschaten, Slogans, Auforderungen. Alle acht Sekunden wird man neu
beschossen von diesen weapons of mass distraction, den Massenzerstreuungswaf-
fen, wie die Tafeln von ihren Gegnern genannt werden. Inzwischen sind die Pro-
teste so laut geworden, dass die Stadtverwaltung zumindest keine Neuerrichtun-
gen mehr erlaubt. An die hundert dieser digitalen Tafeln verteilen sich in der
Stadt. 2006 schloss die Stadtverwaltung einen kompromisshaten Vertrag mit den
Werbegiganten und gesteht sich nun zögerlich ein, damals einem wuchernden
Polypen Zutrit ermöglicht zu haben. Sie wird trotz Verboten und Prozessen, in
denen es um immense Sanktionen gegen die meist illegal errichteten Billboards
geht, nicht Herr der Lage. Denn die Regelung ist widersprüchlich. Einige Werbun-
gen dürfen in sogenannten sign districts angebracht werden, andere nicht. Den
Staranwälten der Werbeindustrie gelingt es immer wieder, Lücken zu inden oder
den Vollzug des Verbotes auf unbestimmte Zeit hinauszuzögern. Möglicherweise
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