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Es gibt einen Begrif, der sehr viel trefender ist als der der Oberlächlichkeit: die
Viellächigkeit.
Es gibt zwei grundsätzlich unterschiedliche Nervenstrukturen: Nerven, die be-
sonders lange Axone haben und miteinander eine starke, dauerhate Verbindung
schaffen. Und Nerven, die sehr viel mehr Dendriten, also Verästelungen, ausb-
ilden, um vielfältige Verbindungen eingehen zu können, sprich Netzwerke zu
bauen. Letzteres trit auf fast alles zu, was ich in Los Angeles gefunden und beo-
bachtet habe. Die Stadt, die sich immer wieder selbst neu erindet, der Mensch,
der auf dem Sprung ist und, wenn es nötig ist, keine Scheu hat, sich neu zu
deinieren. Dinge, die aus dem Nichts autauchen und wieder verschwinden, sei-
en es Restaurants, Moden, Ansichten oder Ideen. Unverbindlichkeit gepaart mit
Kontaktfreude. Ich bin das Gefühl nicht losgeworden, hier leben unglaublich
viele einsame Menschen mit jeder Menge Freunden.
National Geographic hat eine sehr interessante Karte herausgegeben, auf der
verzeichnet ist, in welchen Großstädten der USA ein männlicher oder weiblicher
Überschuss an Singles herrscht. Es besteht eine große Spannung zwischen den
beiden Küsten. An der Ostküste gibt es bedeutend mehr alleinstehende Frauen,
an der Westküste mehr Männer. Im Raum Los Angeles, Long Beach, Santa Ana
übersteigt die Zahl der männlichen Singles die der alleinstehenden Frauen um
90 000.
Ich will nicht tiefer in die Statistik eindringen, weil sie zu ungenau ist. Unter-
schiedliche Alter werden nicht berücksichtigt und ebenso wenig homosexuelle
Beziehungen, denn um die gleichgeschlechtliche Ehe wird in Kalifornien nach
wie vor hart gerungen. Legal ist sie noch nicht.
Zu der Geschlechterdiskrepanz kommen noch ein paar Faktoren hinzu, die Los
Angeles zu einer der härtesten Städte für Singles machen. Die großen Entfernun-
gen sind ein Liebes- und Flirtkiller. Die gleiche Anzahl herumhüpfender Tis-
chtennisbälle trit in einem doppelt so großen Behälter viel seltener aufeinander.
Außerdem gibt es kaum »Bürgersteigkultur«, nebeneinanderliegende Cafés,
Wochenmärkte oder Flaniermeilen, Orte also, an denen man in Europa ot zufäl-
lig Nachbarn oder Bekannte trit. Oder man begegnet fremden Menschen auf
dem Weg zu Bus oder U-Bahn zum wiederholten Mal, irgendwann grüßt man
sich und kommt ins Gespräch. Solche zufälligen Begegnungen bilden einen Eck-
stein unseres sozialen (Stadt-)Lebens. Diese Dinge fordern in Los Angeles einen
recht hohen Energieaufwand. Das Nachtleben endet hier in der Regel um ein Uhr,
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