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3 Die Modellierung adaptiver Prozesse
durch Evolutionäre Algorithmen
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Zellularautomaten und Boolesche Netze sich beson-
ders gut für die Simulation einfacher selbstorganisierender Prozesse eignen, d. h. Prozesse, bei
denen keine Veränderung der Interaktionsregeln stattfindet. Nur in diesem Sinne sind derartige
Prozesse natürlich „einfach“. Reale Systeme, wie insbesondere soziale und kognitive, sind
jedoch häufig auch in der Lage, sich an Umweltbedingungen anzupassen und ggf. ihre Regeln
zu verändern. Es ist sicher kein Zufall, dass diese Eigenschaften verschiedener realer Systeme
in zunehmendem Maße auch in der Robotik und den Entwicklungen von Internetagenten im-
mer bedeutsamer wird. Die Vorteile, hier mit adaptiven Einheiten arbeiten zu können, liegen
auf der Hand. Derartige adaptive Fähigkeiten lassen sich für zahlreiche Probleme besonders
gut mit evolutionären Algorithmen modellieren bzw. realisieren, wie in diesem Kapitel gezeigt
wird.
Zusätzlich zu den evolutionären Algorithmen, die in diesem Kapitel verhältnismäßig detailliert
abgehandelt werden, wird in einem weiteren Subkapitel auch das Verfahren des so genannten
Simulated Annealing behandelt. Dabei handelt es sich genau genommen nicht um einen evolu-
tionären Algorithmus, da hier eine heuristische Orientierung an der physikalischen Thermody-
namik vorliegt. Aus Vollständigkeitsgründen führen wir dennoch kurz in dies Verfahren ein, da
Simulated Annealing sehr häufig im Zusammenhang vor allem mit den Genetischen Algorith-
men behandelt und verglichen wird. Diese werden im Folgenden eine wesentliche Rolle spielen.
Schließlich werden wir, wie bereits im Vorwort zur zweiten Auflage erwähnt, neben den eta-
blierten evolutionären Algorithmen einen von uns entwickelten neuartigen Algorithmus dar-
stellen, den Regulator Algorithmus (RGA). Dieser ist eine Erweiterung der Genetischen Algo-
rithmen und der Evolutionsstrategien; er basiert auf neueren Erkenntnissen der evolutionären
Molekularbiologie.
3.1 Allgemeine Charakterisierungen
Evolutionäre Algorithmen sind im Kern eigentlich nichts anderes als Optimierungsverfahren,
die sich an den allgemeinen Prinzipien der biologischen Evolution orientieren bzw. diese zu
simulieren suchen. Die wesentlichen Mechanismen der biologischen Evolution, die auf der
Grundlage der klassischen Arbeiten von Darwin und Mendel in der so genannten „Modernen
Synthese“ (Huxley 1942) zusammengefasst worden sind, sind Mutation, Rekombination und
Selektion (Schöneburg u. a. 1994). Dies sind auch die wichtigsten Komponenten sämtlicher
evolutionärer Algorithmen.
Darwin hatte zwar die wesentlichen Mechanismen der Evolution identifiziert, aber ihm konnte
noch nicht bewusst sein, auf welcher Ebene der Organismen diese Mechanismen operieren.
Das konnte erst durch die Kombination der Darwinschen Evolutionstheorie mit der von Men-
del begründeten Genetik erkannt werden: Mutation und Rekombination operieren auf dem
Genom bzw. Genotypus der Organismen, während die Selektion den Phänotypus bewertet (der
Begriff Genom charakterisiert den Genvorrat einer Population). Man kann formal den Geno-
typus eines Organismus als einen Satz von epigenetischen und ontogenetischen Regeln auffas-
sen, die in der Ontogenese den Organismus hervorbringen; je nach Tauglichkeit - Fitness - des
Organismus ist dieser in der Lage, durch Reproduktion seine Gene an die nächsten Generatio-
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