Environmental Engineering Reference
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Der moralische Alltagsbonus der „Natürlichkeit“ berührt die Debatte über Landwirt-
schaft als Schnittstelle menschlichen Eingreifens in die Natur: Eingriffe in die Natur, noch
dazu wenn sie höchst technisch vor sich gehen wie die energetische Verwertung von Bio-
masse, werden von manchen Menschen als Störung der natürlichen Ordnung empfun-
den. Versteht man „Natürlichkeit“ jedoch nicht naiv als bloß passives Belassen von Natur,
sondern als Wert einer anzustrebenden „Harmonie“ von Mensch und Natur, dann hat in
diesem kulturellen Konzept sowohl der Gedanke einer ökologischen Nachhaltigkeit als
auch dessen Umsetzung mithilfe neuer technischer Innovationen Platz.
4.3.5
Die Vorstellung der Landwirtschaft als Idylle
Der gesellschaftliche Diskurs über Landwirtschaft findet nach wie vor häufig über eine
Idyllisierung dieses Wirtschaftszweiges statt: Sowohl in den gängigen Agrarmarketingstra-
tegien wie auch in Kinderbüchern oder Fernsehserien wird das bäuerliche Leben oftmals
als idyllisch, beschaulich und harmonisch dargestellt. Ein Leben als Bauer bedeutet ein
heiles Leben in und mit der Natur.
Diese Sehnsucht, die das bäuerliche Leben als einfach und friedlich skizziert, entsteht
im urbanen Raum. Sie lässt sich als eine Reaktion zur städtischen Kultur verstehen (Dürn-
berger 2008, S. 48 f.; Birnbacher 2006, S. 20). Als Beispiel hierfür vermag die Epoche der
industriellen Revolution gelten: „Der Prozess der Industrialisierung war von seinen Anfän-
gen an begleitet durch eine Gegenbewegung, bei der die Natur als Gegenstück zur Kultur
idealisiert und romantisiert wurde.“ (Sawicka 2008, S. 178). Die Industrialisierung brachte
die Schattenseiten des urbanen Lebens in aller Deutlichkeit zu Tage: Umweltverschmut-
zung, problematische hygienische Zustände, Lärm, zu kleine Wohnungen und Arbeitsbe-
dingungen, die vom Arbeitgeber streng diktiert wurden, führten zu einem Zivilisations-
bzw. Stadtüberdruss. Die Natur und das bäuerliche Leben wurden zur Projektionsfläche
dieser urbanen Frustration: Bauer zu sein erschien wie ein Leben im verlorenen Paradies,
naturnah, selbstgenügsam, friedlich und ehrlich.
Diese Inszenierung als Idylle muss in Debatten über Landwirtschaft im Allgemeinen
und über Energie aus Biomasse im Besonderen als Quelle von Kontroversen in Betracht
gezogen werden. Ist der Landwirt ein Unternehmer, der sich die Ressource „Natur“ zunut-
ze macht, oder ist „Bauer sein“ eine „existentielle“ Daseinsform nahe an der Natur und der
Ursprünglichkeit? Kaum eine andere Berufsgruppe sieht sich mit der hier zu Tage treten-
den Divergenz zwischen „Beruf “ und „Berufung“ in dieser Intensität konfrontiert.
Bilder von bestimmten landwirtschaftlichen Praktiken werden oft als Bruch dieser Idyl-
le empfunden, so hat eine moderne Biogasanlage oder ein hochtechnisierter Melkstand
wenig mit der idealisierten Beschaulichkeit des bäuerlichen Lebens zu tun. Darin sehen
nicht wenige einen Qualitätsverlust, den sie meist nicht genauer verbalisieren können.
Besonders als neu empfundene Formen der Landwirtschaft bringen traditionell geprägte
Vorstellungen darüber, wie bäuerliches Leben abläuft und abzulaufen hat, ins Wanken.
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