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zentralen christlichen Topos ernst, verwundert es allerdings, wie selbstverständlich ge-
genwärtig die erlebbare und zutiefst kulturell geformte Natur mit der Schöpfung Gottes
gleichgesetzt wird. Bereits ein flüchtiger Blick auf die biblische Verortung der Rede von
der „Schöpfung“ im 1. Buch Mose klärt darüber auf, dass es der Mensch nicht mit der
Pflege einer vermeintlich unbefleckten Natur als „Paradies“ zu tun hat, sondern - nach
dem Sündenfall des ersten Menschen - mit einem „Acker“, den der Mensch „mit Mühsal“
zu bearbeiten und dessen Früchte bzw. Brot er „im Schweiße seines Angesichts“ zu sich
zu nehmen hat (vgl. 1 Mose 3,17 ff ). Nirgendwo verklärte Natur, nirgendwo aber auch die
Pflicht, sich bei der Kultivierung von Ackerbau allein auf Furchenstock und Erntemesser
als technische Hilfsmittel zu beschränken.
In der christlichen Tradition wurde denn auch die Weiterentwicklung von Techniken
der Landwirtschaft zumeist als Ausdruck christlicher Verantwortung für Ernährung und
Wohlstand in der Schöpfung verstanden. Die tatsächliche „Bewahrung der Schöpfung“
obliegt dagegen allein dem Schöpfer, der diese nicht nur einmal ins Leben ruft, sondern
auch „ohne Unterlass erhält“, wie Martin Luther (1986, S. 648) in seiner Auslegung zu dem
ersten Glaubensartikel im „Großen Katechismus“ schreibt.
Idealisierte Naturvorstellungen sind dabei keine Erfindung unserer Zeit, lassen sich je-
doch seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt beobachten. Dies lässt sich auch
durch empirische Studien belegen: Bei einer Befragung in Deutschland, bei der die Test-
personen ihre Assoziationen zum Begriff „Natur“ nennen sollten, bejahten nur 17,5 % der
Befragten die Aussage, dass der Mensch klüger sei als die Natur. 85,6 % hingegen stimmten
der Aussage zu, dass Dinge aus der Natur perfekter seien als Dinge, die der Mensch fertigt.
Dass menschliches Handeln leicht das Gleichgewicht der Natur zerstören kann, bejahten
93,4 % (vgl. Sawicka 2008, S.  177). Dies macht deutlich: Die Einsicht in die Fehlbarkeit
menschlichen Handelns ist angesichts der beobachtbaren Umweltbeeinträchtigungen om-
nipräsent. Fungiert demgegenüber die Natur als „Religionsersatz“, weil eine andere Kultur
der Schöpfungsbewahrung nicht mehr überzeugt?
Die Vorstellung, dass die Ordnung der Natur perfekt ist und die Folge, dass mensch-
liche Eingriffe in diese Ordnung als störend abgelehnt werden, sind auch aus philosophi-
scher Perspektive grundsätzlich zu problematisieren:
Erstens findet hier eine nicht adäquate Idealisierung von Natur statt. Die Natur ist kei-
neswegs ein statisches, harmonisches System, das nur durch menschliche Eingriffe verän-
dert wird, vielmehr finden in der Natur selbst stets aufs Neue Umbrüche statt. Vorgänge
und Prozesse der Natur werden also verklärt und als Vorbild für den Menschen ausgeru-
fen. Die gebrachten Beispiele sind dabei in der Regel höchst selektiv: Als „natürlich“ wird
das bezeichnet, was wünschenswert erscheint. In Wahrheit jedoch vermag das „Natürli-
che“ nicht als Orientierungshilfe für menschliches Handeln zu dienen. Der Soziobiologe
Keil bringt diesen Gedanken provokativ mit folgendem Statement auf den Punkt: „Ein
ausgebauter Wohlfahrtsstaat ist unnatürlich, Vergewaltigung dagegen natürlich.“ (zitiert
nach Birnbacher 2006, S. 30).
Zweitens lässt sich menschliches Leben, das nicht in die Natur eingreift und sich nicht
an der Natur abarbeitet, schlicht und ergreifend nicht denken.
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