Environmental Engineering Reference
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4.3.2
Die gesellschaftliche Rolle der Landwirtschaft als Bereitsteller von
Nahrungsmitteln
Im Jahr 2007 wurde in den 27 Mitgliedsländern der Europäischen Union eine „Special
Eurobarometer“ Umfrage durchgeführt, die unter anderem die Einschätzungen und An-
sichten der Europäerinnen und Europäer zur Landwirtschaft und ihrer Rolle in der Gesell-
schaft zum Thema hatte. Die Befragten sollten die ihrer Meinung nach zwei bedeutsams-
ten Aufgaben der Landwirtschaft in unserer Gesellschaft nennen.
Am häufigsten genannt wurde hierbei die Versorgung der Bevölkerung mit gesunden
und sicheren Nahrungsmitteln: 56 % der Befragten sahen in der Bereitstellung von Nah-
rung die gesellschaftliche Hauptaufgabe der Landwirtschaft. Auf dem zweiten Platz wurde
mit 30 % der Umweltschutz als zentrales gesellschaftliches Aufgabenfeld der Landwirt-
schaft genannt. Die Produktion von Energie landete weit abgeschlagen hinter Antworten
wie dem Schutz des Wohlergehens der Tiere des Hofes oder der Sicherstellung der Selbst-
versorgung der Europäischen Union mit Nahrungsmitteln (Special Eurobarometer 2008,
S. 49).
Nicht nur empirische Erhebungen, auch der kulturelle Diskurs (man achte auf das Bild
des Landwirts in Werbesujets, Fernsehserien, Filmen oder Kinderbüchern) und Gesetzes-
texte belegen, dass die Hauptaufgabe der Landwirtschaft in der Bereitstellung von Nah-
rungsmitteln gesehen wird. Beispielsweise nennen das deutsche Landwirtschaftsgesetz
von 1955 oder der Paragraph 39 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemein-
schaft von 1957 explizit die Sicherstellung der Ernährung als entscheidende Aufgabe der
Agrarwirtschaft.
Gerade durch die Erfahrungen des zweiten Weltkrieges und der ersten Nachkriegsjahre
hatte die Ernährungssicherung durch die eigene Landwirtschaft einen besonders hohen
Stellenwert. Und die Landwirtschaft kam und kommt dieser Aufgabe erfolgreich nach, wie
sich am Beispiel von Bayern statistisch ablesen lässt: „Die Produktivität der Landwirtschaft
ist enorm angestiegen. Während rein rechnerisch ein landwirtschaftlicher Betrieb in Bay-
ern 1990 nur 66 Personen mit Nahrungsmittel versorgen konnte, waren es 2007 bereits
120.“ (Bayerisches Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten 2008, S. 28).
Der Beruf des Landwirts wird also vor allem mit der Bereitstellung von Nahrungsmit-
teln in Verbindung gebracht. Es ist hierbei davon auszugehen, dass diese Rollenzuschrei-
bung nicht ohne Auswirkungen auf die Debatte um Energie aus Biomasse bleibt: Ein Land-
wirt, der sein ökonomisches Auskommen nicht durch die Bereitstellung von Nahrungs-
mitteln findet, ruft mancherorts Irritationen hervor.
Eine in diesem Zusammenhang oft genannte Kritik warnt beispielsweise vor einem
Verlust der regionalen Nahrungsmittelautarkie: Landwirte, die auf Energiepflanzenanbau
umstellen, würden die regionale Selbstversorgung mit Lebensmitteln gefährden. Hierbei
ist kritisch zu diskutieren, inwieweit Regionen in Europa überhaupt noch nahrungsmittel-
autark zu nennen sind. Noch prinzipieller ließe sich fragen, ob das Konzept eines autarken
Systems, das von Importen unabhängig ist, in einer globalisierten Welt (zumindest hin-
sichtlich Europa) nicht als ein veraltetes Modell angesehen werden muss.
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