Environmental Engineering Reference
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schreibungen. Auch wenn derartige generelle Aussagen ob fehlender empirischer Daten
nur mit Vorsicht geäußert werden können, lässt sich beobachten, dass in Deutschland
Sorghum kaum mit „Nahrung“ assoziiert wird, obwohl dieses und weitere Hirsearten in
anderen Regionen der Welt durchaus wichtige Nahrungspflanzen darstellen.
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass auch die energetische Nutzung von ein
und derselben Kulturpflanze unterschiedlich thematisiert wird. So wird die energetische
Verwertung von Weizen zu Ethanol in der gesellschaftlichen Debatte beispielsweise weit
weniger prominent verhandelt als das in der Energieversorgung kaum eine Rolle spielen-
de „Weizen verheizen“ zu Wärmegewinnungszwecken. Dies mag nicht zuletzt an der An-
schaulichkeit der Verwertungspfade und mancher polemischer Slogans liegen. Die Wor-
te „Weizen verheizen“ lassen bei vielen Menschen auch ohne detailreiche Kenntnis über
Energietechnologien ein eindeutiges Bild im Kopf entstehen, nämlich die Verschwendung
von Lebensmitteln, im Gegensatz zu der Formulierung „thermische Nutzung von Weizen“.
Darüber hinaus kann angenommen werden, dass der Informationsstand über die ener-
getische Umwandlung von Weizen zu Ethanol geringer ist. Selbst in der Debatte um E10,
wie sie im Frühjahr 2011 stattgefunden hat, lag der Hauptdiskussionspunkt nicht beim
Rohstoff Weizen und seiner Konversion, sondern eher bei der Tauglichkeit der Motoren,
mit E10 betrieben zu werden.
Aus einer strikt normativen Perspektive ist zu notieren, dass sich aus der Tatsache, dass
bestimmte Gesellschaftsgruppen dieses kulturell gewachsene Gefühl des besonderen Sym-
bolgehalts bestimmter Pflanzen teilen, nur eine schwache ethische Verpflichtung ableiten
lässt, nämlich die Verpflichtung, diese Gefühle - wenn möglich - zu berücksichtigen. Da-
rüber hinaus würde es angesichts der zentralen Bedeutung von Energie in unserem Le-
ben zu kurz greifen, in der energetischen Verwendung von Kulturpflanzen eine Art „Ver-
schwendung“ zu sehen (vgl. Kap.  4.3.2). Zu berücksichtigen ist auch, dass sich Symbole
ändern können: „Symbole können sich ändern und sie haben sich in Kulturen stets dann
geändert, wenn es notwendig und plausibel war.“ (Karafyllis 2012, S. 63).
Trotz dieser Relativierungen sollte die Empörung, die manche Menschen über die
energetische Verwendung von Kulturpflanzen empfinden, anerkannt und nicht zuletzt im
Sinne des sozialen Friedens ernst genommen werden. Vogt und Karafyllis votieren bei-
spielsweise dafür, dass es gegen die energetische Verwendung von Getreide, eine Kultur
mit hohem Symbolgehalt, zumindest so starke Einwände geben kann, dass zunächst nach
möglichen Alternativen gesucht werden muss (Vogt 2002, S. 5; Karafyllis 2012, S. 63). Hat
man also die Wahl zwischen zwei gleichrangigen Optionen, wobei die erste die morali-
schen Gefühle einer Bevölkerungsgruppe verletzt und die zweite nicht, ist die zweite Op-
tion vorzuziehen.
Wenngleich in der Realität eine solche Situation, in der kulturell gewachsene Wertkom-
plexe die einzig sich unterscheidenden und zu berücksichtigenden Kriterien ausmachen,
so gut wie ausgeschlossen ist, ist es aus der Perspektive des Landwirts angebracht, mögliche
kulturell gewachsene Vorbehalte bestimmter Gesellschaftsgruppen trotz ihrer ethischen
Relativierbarkeit in den eigenen Entscheidungsfindungsprozess mit einzubeziehen und
möglicherweise aktiv selbst zum Thema zu machen.
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