Environmental Engineering Reference
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wenn es an empirischen Daten zum direkten Vergleich fehlt, so ist zu vermuten, dass ein
relevanter Teil der Bevölkerung es vorzieht, im regionalen Umfeld eines landwirtschaft-
lichen, Bioenergie produzierenden Betriebs zu leben, und nicht etwa in Sichtweite eines
Kernreaktors, eines großflächigen Windparks oder riesiger Freiflächen-Photovoltaikanla-
gen. Derartige Energieproduktionsverfahren werden oftmals als sogenannte „Großtechni-
ken“ wahrgenommen. Darunter versteht die Techniksoziologie Projekte und Anlagen ab
einer gewissen, nicht präzise quantifizierbaren Größenordnung wie eben Kernkraftwer-
ke oder große Infrastrukturmaßnahmen, etwa Flughafenausbau. Dabei gilt: „Großtech-
nik ist semantisch mit Kapitalismus, mit Großkonzernen und Establishment verknüpft
und gegenüber diesen Erscheinungsformen der Moderne herrscht starke Ablehnung vor.“
(Zwick 2001, S. 127).
Landwirtschaftliche (Energie-)Produktion wird hingegen in der Regel nicht als „Groß-
technik“, sondern als etablierte, traditionelle Arbeitsform wahrgenommen. Die in Dis-
kussionen um Energieproduktion in lokaler Nähe häufig festzustellende Position „ not
in my backyard “, sprich: dass Menschen zwar gerne die Vorzüge bestimmter Industrien
genießen, diese aber nicht in ihrem regionalen Umfeld wünschen, tritt in Debatten um
landwirtschaftliche Energieproduktion dementsprechend in der Regel seltener auf als bei
anderen Energieproduktionsweisen.
Aus einer moralphilosophischen Perspektive sind die skizzierten historisch gewachse-
nen und ästhetischen Argumente nur bedingt von Relevanz: Eine Berücksichtigung dieser
Wertvorstellungen könnte gesellschaftliche Konflikte vermeiden helfen und insofern zu
sozialem Frieden und stärkerem gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Region beitra-
gen. Insofern ist der Landwirt - auch aus Gründen höherer Akzeptanz seiner landwirt-
schaftlichen Praxis - gut beraten, diese Argumente zu sondieren und ernst zu nehmen.
Hinsichtlich des Prinzips der Autonomie sind zwei Interessen des regionalen Umfeldes
zu benennen: 1) Erstens könnte Energie aus Biomasse entweder auf direktem Wege durch
weitgehende Selbstversorgung mit Energie oder auf indirektem Wege durch die ökono-
mische Stärkung der Region die Abhängigkeit von einzelnen Energieträgern verringern
und die Autonomie der Region erhöhen. 2) Zweitens weist das regionale Umfeld das In-
teresse auf, die Entwicklungen in der Region mitbestimmen zu können und - damit eng
zusammenhängend - eigene, mitunter weltanschaulich geprägte, kulturell tief verankerte
Ansichten über die Natur, die Landwirtschaft, die Industrie und die Gesellschaft in die
Debatte um Bioenergie einzubringen. Dieses in den letzten Jahrzehnten stärker gewor-
dene Anliegen ist nicht zuletzt im Kontext der staatlichen Subventionen des Agrarsektors
zu sehen: „Konkret, wenn die Öffentlichkeit mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen
Einkommen bezahlt, dann will sie auch darüber mitreden, welche Nutzungen, in welchem
Umfang und unter Einsatz welcher Produktionsverfahren für die landwirtschaftlichen Flä-
chen zum Zuge kommen.“ (Schöpe 2005, S. 25). Die Wahrung dieses Interesses ist über die
rechtlichen Bestimmungen zur Partizipation an der Regionalpolitik (Wahlen) grundsätz-
lich gesichert. Dem Landwirt steht darüber hinaus offen, dem regionalen Umfeld einen
partizipativen Prozess anzubieten, um die kulturellen und historischen Wertvorstellungen
zum Thema zu machen.
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