Environmental Engineering Reference
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pektive das höchste Gut in einer vorzunehmenden Güterabwägung darstellt. Insofern ver-
wundert es auch nicht, dass hierin ein neuralgischer Punkt der gesamten Debatte liegt.
Jede Initiative, die dem (Menschen-)Recht auf eine angemessene Ernährung Priorität
einräumt, ist zweifelsohne zu unterstützen. Zugleich argumentiert er, dass diese Priori-
sierung keine pauschale Kritik am Anbau und Handel von Biomasse für Treibstoffe mit
sich bringen muss, „sofern deren Nutzen aus ökologischen und klimarelevanten Gründen
[…] ausgewiesen werden kann.“ (Schleissing 2013, S. 25). Grundsätzlich sollte eine jede
Debatte um Ernährungssicherheit nicht andere Aspekte abseits der auf „Teller oder Tank“
zugespitzten Alternative aus den Augen verlieren, etwa die Produktivitätssteigerung beim
Anbau von Pflanzen oder Verbesserungen bei Lagerung und Transport (vgl. Schleissing
2013, S. 25). Es ist daher davor zu warnen, „Fragen der Energieversorgung […] einseitig
gegen Ernährungsfragen auszuspielen.“ (Schleissing 2013, S. 26).
Über die Bedeutung von Nahrungssicherheit 2 für ein menschenwürdiges Leben
herrscht also breiter moralischer Konsens. Inwieweit der Anbau von Biomasse zur ener-
getischen Nutzung in Bayern tatsächlich Auswirkungen auf den Hunger in ärmeren Re-
gionen aufweist und inwieweit damit einhergehend dem lokalen Akteur eine moralische
Verantwortung zugesprochen werden muss, ist hingegen strittig.
Es wäre möglich, dass beispielsweise der deutsche Biomasseanbau zu energetischen
Zwecken zu einer Steigerung des Imports von Nahrungs- oder Futtermitteln führt, wo-
durch wiederum die Nahrungs- und Futtermittelpreise in anderen Ländern - vor allem
in den Entwicklungsländern - steigen könnten, welche sich die arme Bevölkerung nicht
mehr leisten kann. Andererseits könnte die Preissteigerung auch das Einkommen der
Landbevölkerung in ärmeren Ländern steigern, so dass diese vermehrt Landwirtschaft be-
treiben könnte. Dadurch würden die Landwirte langfristig einen Beitrag zur Versorgungs-
sicherheit der ländlichen und urbanen Bevölkerung leisten. Eine derartige Kausalitätskette
der Auswirkung der deutschen Landwirtschaft auf die der Entwicklungsländer ist nicht
von vornherein abzustreiten. Der Wirkungszusammenhang von globalen Konsequenzen
lokaler Handlungen ist jedoch schwer exakt zu bestimmen, wodurch sich auch die Verant-
wortung nur bedingt einzelnen Personen zusprechen lässt (Vogt 2009, S. 379). Prinzipiell
scheinen die drei in der Diskussion regionaler Nahrungsmittelkonsumenten festgehalte-
nen Fragen, die an Bioenergietechnologien zu stellen sind, auch aus internationaler Sicht
von Bedeutung zu sein.
In der Regel wird an diesem Punkt der Debatte auf die Relevanz politischer Strukturen
verwiesen: Die nationalen wie transnationalen politischen Institutionen und ihre konkre-
ten Akteure sind es, die die notwendigen Rahmenbedingungen im Kampf gegen den Welt-
hunger zu schaffen haben (Ott und Döring 2004, S. 39). Auch die vorliegende Studie ist
in diesem Sinne der Überzeugung, dass sich die Verantwortung für derartige nicht-inten-
dierte Auswirkungen auf globaler Ebene nicht primär dem einzelnen Akteur zuschreiben
2 Der Zustand der Nahrungssicherheit besteht dann, wenn ein Mensch jederzeit physischen und
wirtschaftlichen Zugang zu ausreichender, gesundheitlich unbedenklicher und nahrhafter Nahrung
bzw. zu den Mitteln ihrer Erlangung besitzt (UN-Wirtschafts- und Sozialrat 1999, S. 4).
 
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