Environmental Engineering Reference
In-Depth Information
lässt, sondern dass es sich vielmehr in erster Linie um den Verantwortungsbereich der
nationalen wie vor allem der internationalen Politik handelt. Würde man die Verantwor-
tung in diesen Konflikten nur auf der Mikroebene suchen, bedeutete dies eine moralische
Überforderung, wie sie in der öffentlichen Debatte um Energie aus Biomasse dem Land-
wirt oft genug zugemutet wird. In diesem Zusammenhang ist es vielmehr - wie schon in
der umweltethischen Diskussion angesprochen - von Bedeutung, nicht nur die möglichen
nicht-intendierten negativen Konsequenzen landwirtschaftlicher Praxis für die Nahrungs-
sicherheit in den ärmeren Regionen zu thematisieren, sondern die Lebensführung in den
Industrieländern generell kritisch zu diskutieren: Es sind nicht nur lokale Entscheidungen
in der Landwirtschaft, die gegebenenfalls die Nahrungssicherheit in Entwicklungsländern
gefährden, sondern auch Fragen der gesamten Lebensführung wie beispielsweise der ver-
schwenderische Umgang mit Lebensmitteln oder auch der durchschnittliche Fleischkon-
sum in der westlichen Welt (Nierenberg 2005; Paul und Wahlberg 2008).
Entsprechend ist es ebenso wenig angebracht, die Debatte über die etwaige Bedrohung
der Nahrungsmittelsicherheit aufgrund mangelnder Flächen zum Nahrungsmittelanbau
nur zu Lasten der Bioenergieproduktion zu führen. Während im medialen Diskurs oft-
mals nur die Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungsmitteln und Bioenergie in den Fokus
gerückt wird, besteht eine derartige Konkurrenzsituation ebenso zwischen Nahrungsmit-
telanbauflächen und Verkehrsflächen, Siedlungsflächen, Industrieflächen, Freiflächen-
Photovoltaikanlagen oder Anbauflächen von nichtnahrungstauglichen Produkten wie
Tabak, Wald oder Naturschutzflächen. Hierzu zählt auch die Produktion von Futtermit-
teln, die nicht für die Ernährung von Nutztieren (z. B. für Haustiere) gedacht sind. Diese
Beispiele zeigen, dass eine Reflexion über einen verantwortungsvollen Umgang mit ver-
fügbaren Flächen nicht allein auf die Produktion von Energie aus Biomasse abzielen darf,
sondern weit umfassender geschehen muss.
Das Gesagte darf dabei nicht als „Freischein“ missinterpretiert werden: Wenn die pri-
märe, maßgebliche Verantwortung auf der Makroebene liegt, darf sich die Verantwortung
damit nicht „verflüchtigen“, vielmehr gilt: „Gerade in den komplexen Handlungs- und
Wirkungszusammenhängen moderner Gesellschaft ist dauerhafte Verantwortung […]
nur möglich, wenn sie sowohl auf der individuellen Ebene als auch auf der strukturellen
Ebene des Bemühens um eine verantwortliche Gestaltung der rechtlichen und politischen
Strukturen wahrgenommen wird.“ (Vogt 2009, S. 381).
Der Landwirt ist also - so wie jeder andere Bürger auch - dazu aufgefordert, seine
Handlungen, Entscheidungen und seine Lebensführung hinsichtlich möglicher Beein-
trächtigung der Nahrungsmittelsicherheit auf globaler Ebene zu reflektieren. Beispiels-
weise sind Arten der Bioenergiegewinnung, die in ihrem Herstellungsverfahren in keine
potentielle Konkurrenz zu Nahrungsmitteln treten (wie die energetische Verwertung von
Reststoffen wie Grünschnitt von Hecken, Straßenbegleitgrün usw.) aus Sicht der Inter-
essenslage der regionalen wie internationalen Nahrungsmittelkonsumenten positiver zu
bewerten als andere.
Search WWH ::




Custom Search