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gen: Vierhundert Lira, knapp zweihundert Euro, verdient der Sohn als Kellner im
Monat. Weniger als die Armutsgrenze, weniger als der oizielle Mindestlohn. Muss
man sih wundern, wenn in Istanbul ein Viertel aller Türken leben, laut Polizeis-
tatistik aber die Hälte aller Verbrehen begangen werden? Keine Angst, Istanbul
ist noh immer eine sihere Stadt, vor allem, weil Gewaltverbrehen die Ausnahme
sind. Aber Tashendiebstahl ist Alltag, und bei fast jedem unserer Freunde ist shon
eingebrohen worden, ot, während sie shliefen. Dass wir bislang vershont blieben,
shreiben wir den zwei Soldaten zu, die vor unserem Haus Tag und Naht Wahe
stehen, des pensionierten Admirals im ersten Stok wegen.
Dafür, dass die Armut noh immer so groß und staatlihe Fürsorge praktish niht
vorhanden ist, gibt es in Istanbul erstaunlih wenig Betler und noh weniger Ob-
dahlose. Das liegt vor allem an dem noh immer starken Zusammenhalt der Fam-
ilie, sie ist das soziale Netz. Auf der anderen Seite hat das Vorleben ungehemmten
Reihtums durh eine kleine Shiht einen fatalen Efekt auf die anderen: Ganz Istan-
bul lebt über seine Verhältnisse. Neues Handy, dikes Auto, Hauptsahe, man sieht
nah mehr aus. Egal ob Putzfrau, Polizist oder Accountmanager - praktish alle
haben ihre Kreditkarten überzogen,was einem strälih leiht gemaht wird in der
Türkei, alle haben sie Shulden bei Freunden und Verwandten, die sih wiederum
bei anderen Freunden und Onkeln Geld borgen. »Meine ganze Belegshat hat mih
shon um Vorshuss angebetelt«, erzählt ein deutsher Telekom-Manager in Istan-
bul: »Vom Hausboten bis hoh zu den Leuten, die drei-, viertausend Euro im Mon-
at verdienen. Verrükt ist das.« Niht ungefährlih zudem: Die Zeitungen berihten
fast täglih von Selbstmorden jener, die ihre Kreditkartenshulden niht begleihen
können.
Es stehen sih die Wohlhabenden und die Habenihtse, die Alteingesessenen und
die Zuzöglinge gegenüber. Und die einen begegnen den andern mit einer Mishung
aus Furht und Verahtung. Die Haltung hat Tradition. Die Zeitung »Cumhuriyet«,
das Zentralorgan der kemalistishen Revolution, drukte einmal diese denkwürdige
Shlagzeile: »Das Volk hat die Strände überlutet - die Bürger können niht baden«.
Dort das Volk, hier die Bürger. Die Übershrit ist jetzt mehr als fünfzig Jahre alt,
die Mentalität in den Hirnen derer, die sih stolz Bürger nennen, noh frish. Und
so mokieren sie sih über all jene, die ihre Wäshe auf den Balkon hängen. Die ihre
Straßenshuhe vor der Wohnungstüre abstellen. Die das Kölnish Wasser etwas zu
dik autragen. Die kulturellen Codes der Istanbuler. Mit denen niht immer alle
gleih geshikt jonglieren.
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