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Das Imperium der Schuster
Der Fabrikant Tomáš Baťa drückte der Region Zlín seinen Stempel auf - für Generationen
Als er geboren wurde, hatte der Erste Weltkrieg gerade begonnen. Seine Eltern nannten ihn
Tomáš, nach dem Vater. Tomáš Baťa, der Unterscheidung halber Tomik gerufen. Als er in die
Schule kam, musste er barfuß gehen wie alle anderen. Der Vater wollte nicht, dass der Fabrik-
antensohnsichüberseineMitschülererhabenfühle.Undalserspäter-nacheinemmehrjährigen
Aufenthalt auf einem Londoner Gymnasium - in die Heimat zurückkehrte und in die väterliche
Firma eintrat, ing er als Arbeiter in der niedrigsten Lohnstufe an. Auch dies natürlich auf Befehl
des Vaters.
Tomáš Baťa ist im Jahr 2008 im Alter von dreiundneunzig Jahren gestorben, und noch damals
war auch der Schatten seines Vaters ein Grund dafür, warum dieser Tod von allen tschechischen
MedienalsquasihistorischesEreignisbehandeltwurde.VomStaatspräsidentenabwärtswürdigte
jeder, der Rang und Namen hatte, den Verblichenen als »wahrhaft große Persönlichkeit«, als
Mythos und Legende, als ein Symbol des tschechischen Unternehmertums. Die Zeitung Mladá
fronta Dnes schrieb gar, das Baťa-Imperium sei vielleicht der größte zivilisatorische Beitrag des
Landes zum 20. Jahrhundert gewesen. Immerhin ist Baťa größter Schuhproduzent der Welt, mit
mehr als vierzigtausend Beschäftigten in fünfundzwanzig Ländern, mit fünftausend eigenen
Geschäften und täglich einer Million Kunden, wie auf der Website des Konzerns zu lesen ist.
Der Name steht für eines der erstaunlichsten Kapitel europäischer Industriegeschichte. Auch
dies geht zunächst auf Tomáš, den Älteren, zurück, einen Schuster aus Zlín in Mähren, der sein
Gewerbe in achter Generation ausübte. 1894 gründete er mit zwei Geschwistern eine Firma, die
er später allein weiterführte, und erfand die fabrikmäßige Herstellung von Schuhen. In Amerika
hatte er sich auf Industriespionage begeben und dort das Prinzip der Fließbandproduktion des
Henry Ford kennengelernt, das er nach Mähren übertrug. Tausende Schuster, die nach alter Art
im Einmannbetrieb werkelten, mussten aufgeben, nachdem Tomáš Baťa seine Massenfertigung
begonnen und dazu den Einzelhandel für den Verkauf der Schuhe gewonnen hatte.
Nicht weniger Aufsehen erregte er mit seinen sozialen Ambitionen. Das Städtchen Zlín, wo
er auch Bürgermeister war, baute er rund um die Firma zur modernen Heimstatt des »Neuen
Menschen« im Industriezeitalter aus. Es triumphierte der Funktionalismus, der Architekt
František Lydie Gahura ergänzte »die Fabrik im Grünen« mit avantgardistischen Hochhaussied-
lungen und Einfamilienwürfeln. Tomáš Baťa gab seinen Arbeitern hohe Löhne und Sozialleistun-
gen, verschaffte ihnen Zugang zu Bildung, dekretierte aber auch, wie sie leben sollten. Als der
Patriarch 1932 bei einem Flugzeugabsturz starb, weil er sich vom Nebel nicht aufhalten lassen
wollte, übernahm sein Stiefbruder Jan Antonín die Führung.
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