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Der große Geheimnisvolle
Milan Kundera ist in seiner alten Heimat sehr präsent, obwohl er sich dort nicht blicken lässt
Milan Kundera ist den Tschechen mehr als nur ein Rätsel. Er ist ein Phantom, ein Geistwesen,
dessen volatile Zugehörigkeit zur Nation nicht recht geklärt ist. Unstrittig ist, dass er 1929 in
Brünn geboren wurde und bis 1975 in der Tschechoslowakei lebte. Im Prager Frühling gehörte
er wie Ludvík Vaculík, Pavel Kohout oder Václav Havel zu jenen Autoren, die mit couragierten
Reden und Schriften dem politischen Geschehen wesentliche Impulse gaben. Es war die Zeit, als
man mit Worten noch etwas ausrichten konnte.
Seit 1975 lebt Kundera in Frankreich, wo er zu Weltruhm kam. 1979 erkannte ihm das kom-
munistische Regime in Prag die Staatsbürgerschaft ab, doch als es 1989 zusammenbrach, traf er
keine Anstalten zur Rückkehr. Der Dichter, so scheint es, misstraut der alten Heimat, jedenfalls
einigen ihrer Bewohner. Journalisten meidet er prinzipiell, ins Land kam er allenfalls inkognito,
angeblichmitPerückeverkleidet.Alsihm2007dertschechischeStaatspreisfürLiteraturverliehen
wurde,blieberdemFestakt»ausGesundheitsgründen«fernundsandteausPariseineAnsprache
auf Tonkassette, der das Publikum ergriffen lauschte.
Sein Welterfolg »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins« durfte in Tschechien erst im Herbst
2006erscheinen,zweiundzwanzigJahrenachderfranzösischenErstausgabeundeinundzwanzig
Jahre nach der ersten tschechischen Edition, die der Exilverlag Sixty-eight Publishers in Toronto
besorgt hatte. Spätere Werke, von Kundera auf Französisch verfasst, sind bis heute auf Tschech-
isch nicht verfügbar. Der Meister sperrt sich.
Dennoch ist er in der Heimat unvergessen. Seine Bücher sind Bestseller, in den Feuilletons ist
derAutorhäuigpräsent,ergehörtdazu.AlsimJahr2008dieZeitschrift Respekt ausdenArchiven
des Staatssicherheitsdienstes StB alte Observationsfotos publizierte, war darunter auch ein Bild
des jugendlich-schlanken Kundera, 1969 in einer Prager Gasse belauscht und belauert; eine Frau
übergab ihm dort einen Reisepass. Später brachte Respekt auch den Bericht eines Historikers, der
Milan Kundera vorwarf, im Jahr 1950 als zwanzigjähriger Student einen anderen Studenten, der
in Opposition zum Regime stand, bei der Polizei angezeigt zu haben. Diesmal schwieg Kundera
nicht, zornbebend nannte er im Telefonat mit der Nachrichtenagentur ČTK die Behauptung eine
Lüge und sprach von »einem Attentat auf einen Autor«.
In jenem Jahr 2008, da man des vierzigsten Jahrestags des Prager Frühlings gedachte, brachte
dietraditionsreicheWochenzeitung Literárnínoviny einganzesJahrlangeineArtikelserie,dieeine
berühmte Kontroverse zwischen Kundera und Václav Havel aufgriff. Die beiden Giganten der
tschechischenIntelligenzsindeinandergewissermaßenmitdemRückenzugewandt,seitsie1968
und 1969 so heftig die Klingen kreuzten.
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