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mitgroßemEifereinKettenhemdanprobieren,dasanzweiLederschlaufenschwervonderDecke
hängt, und einander mit Fotohandys in dieser kriegerischen Montur ablichten.
Rund achtzigtausend Besucher hat das Museum jährlich, zu gut zwei Dritteln Tschechen. Die
Beschriftungen sind meist tschechisch, der neue Katalog hat auch eine englische Version, Inform-
ationen in fünf weiteren Sprachen sollen folgen. Dass Tabor auch für Ausländer von hohem Reiz
ist, steht außer Frage, schon wegen der Bedeutung der Hussiten bis in die Gegenwart. Dabei hat
ihrereligiöseBotschaftnurnochgeringeDurchschlagskraft,dieTschechensindüberwiegendun-
gläubig.NurvierderzehnMillionenEinwohnerhabeneineKonfession,2,7MillionensindKath-
oliken, rund hundertzwanzigtausend gehören zur evangelischen Kirche der böhmischen Brüder,
die auch taboritische Traditionen plegt. Nur hunderttausend, also ein Prozent der Bevölker-
ung, sind Mitglieder der 1920 wieder gegründeten Hussitischen Kirche. Sie spielt im öffentlichen
Leben kaum eine Rolle, im Jahr 2007 erregte ein Bischof Aufsehen, als er wegen eines Sexskan-
dalszurücktretenmusste.InTaborstehtdie1939errichtetehussitischeKircheaneinerumlärmten
Ausfallstraße der Neustadt, den superschlanken puristischen Turm krönt ein zweieinhalb Meter
hoher Kelch.
Touristen verirren sich selten dorthin, sie spüren dem Geist des Hussitismus in der histor-
ischen Kernstadt mit ihren farbenfrohen restaurierten Bauten und ihren stillen Plastergassen
nach. Das Ambiente wirkt nicht geleckt und nicht museal, hier und da tritt auch ein bisschen
Baufälligkeit hervor, der Lebensrhythmus hat die Langsamkeit der Provinz. Auf der Kaffee-
haustreppe krault die unbeschäftigte Bedienung den Hund, gegenüber hat ein Tattoo-Studio er-
öffnet, in einem Hof zerschneidet eine Kreissäge die übersonnte Stille.
Jana Lorencová, die Leiterin des Amtes für Kultur und Fremdenverkehr, hat sich die Hebung
der Service-Qualität zum Ziel gesetzt und wünscht sich, dass die Besucher nicht nur für einen
langen Nachmittag von Budweis oder Prag herüberkommen, sondern auch mal ein paar Tage
bleiben. Deshalb wird weiter am Veranstaltungsprogramm gearbeitet, das jetzt schon einen stat-
tlichen Umfang hat. Der Kultursommer zum Beispiel bietet Rock, Jazz und klassische Konzerte
(allesOpenAir)ebensowieFeuerwerke,Kindervergnügungen,Märchentage,Straßentheaterund
historische Abende.
DerHöhepunktdesJahressindjeweilsAnfangSeptemberdieTaborerBegegnungen(Táborská
setkáni)-mitFestparade,FackelzugundeinernachgestelltenSchlacht.Aufeinemaltböhmischen
Jahrmarkt tummeln sich Händler, Handwerker und Gaukler, es tritt der Feldherr Jan Žižka auf,
und selbstverständlich ließt das tschechische Bier in Strömen. Man kann auch Denkmäler be-
sichtigen und in die unterirdischen Gänge steigen.
Man hat noch nichts davon gehört, dass die Akteure dabei auch die Seitenlinien der hussit-
ischen Glaubenskämpfe verfolgt hätten, bis hin zu den Adamiten und Pikardisten. Dies waren
MitgliedervonSekten,dieaußerderradikalenAbkehrvomKatholizismusauchdieHinwendung
zur freien Liebe propagierten, teilweise orgiastische Feste feierten und nackt herumliefen. Žižka,
der Schreckliche, vertrieb sie aus Tabor und ließ sie lynchen.
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