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und Italien - genauso wie 1938. Und er setzt dagegen die historische Erfahrung der Tschechen,
die vier Jahrhunderte lang, bis zur Gründung der unabhängigen Tschechoslowakei 1918, unter
der Dominanz der Habsburger Monarchie, dann von 1938 bis 1945 unter dem Terror-Regime der
Nazis und nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich bis 1989 unter der diktatorischen Hegemonie
der Sowjetunion gelitten haben. Jetzt wollen sie endlich frei und alleine entscheiden, ohne Vor-
gaben einer neuen Vormacht, nämlich der Brüsseler Bürokratie.
Um diese Sichtweise ins rechte Licht zu rücken, traf Klaus sich 2006 in einem halben Jahr vier
Mal mit seinem polnischen Amtskollegen Lech Kaczyński. Dabei hob er, ohne die Übeltäter der
Vergangenheit beim Namen zu nennen, die Gemeinsamkeiten von Tschechen und Polen hervor
undsagte:»BeideLänderhaben-mitihrerhistorischenErfahrungausdemKampfumSouverän-
ität und nationale Identität, mit ihren Erfahrungen auch dessen, was Unterdrückung der Freiheit
imNamenangeblichhöhererZielebedeutet,mitihrerErfahrungeinesLebensineinemLand,das
fremden Interessen folgte - dem heutigen Europa etwas zu sagen. Wir sind verpflichtet, uns ge-
gen eine Entwicklung zu wehren, die droht, einige unglückliche Aspekte unserer Geschichte zu
wiederholen. Wir dürfen uns nicht - wie einige unserer Vorgänger - in der Illusion wiegen, dass
die Geschichte, wie wir sie seit einem Jahrtausend kennen, zu Ende ist und dass gerade wir für
immer in einer sorglosen Harmonie und in brüderlicher Einigkeit mit allen leben werden.« Der
letzte Satz enthielt auch eine Spitze gegen Václav Havel.
Europa ist als Kontinent nach Meinung des tschechischen Staatspräsidenten keine ethnische
Einheit und kein kulturell homogenes Gebiet. Europa habe auch keine Identität - und brauche
auch keine. Für den passionierten Liberalen sind Freiheit und Demokratie die zentralen Werte,
undDemokratieistseinerMeinungnachnurineinemNationalstaatzuverwirklichen.Außerhalb
deinierter Grenzen existiere nämlich kein »demos«, kein Volk als Träger der Souveränität. Und
selbstverständlichweistKlausgenüsslichauchaufdiebekanntenDemokratiedeiziteimhierarch-
ischen Aufbau der EU hin.
DasserindesgeradedemLissabonerVertrag,derdiesesDeizitdochlindert,sounnachgiebig
seine Zustimmung verweigerte, wirkte auf seine Gegner ein wenig paradox. Klaus aber meinte,
die EU -Reform werde die bestehenden Probleme nur vertiefen, das demokratische Deizit ver-
schlimmern sowie »den Status unseres Landes verschlechtern und neuen Risiken aussetzen«.
Europas Eliten seien dabei, hinter dem Rücken der Bürger »einen bürokratischen föderalen Su-
perstaat zu formen«.
Mit solchen Äußerungen ist Václav Klaus zum Wortführer der Euroskeptiker und Mark-
tradikaleninganzEuropageworden,undjustdieAuseinandersetzungenumdenLissabonerVer-
tragverschafftenihminternationaleinehoheAufmerksamkeit.Ergenosssieundertat,voneiner
GruppeneoliberalerSenatorenmiteinerVerfassungsklageunterstützt,dasSeine,umdenProzess
noch in die Länge zu ziehen. Am Ende aber musste er sich geschlagen geben, wenngleich er
den EU -RegierungschefsimmerhineineKlauselabtrotzte,wonachdieChartader EU -Grundrechte
den 1945/46 aus der Tschechoslowakei vertriebenen Ungarn und Sudetendeutschen nicht er-
lauben soll, ihre damals enteigneten Besitztümer zurückzufordern. Am 3. November 2009 wies
das tschechische Verfassungsgericht in Brünn sämtliche Einwände der EU -Kritiker zurück, und
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