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Wenn die Wildnis erwacht
Der Böhmerwald, der Bayerische Wald und das »wilde Herz Europas«
Es riecht nach Fichtennadeln, und das berühmte Rauschen ist in der Luft. Ein kleines Wasser
gluckert.AlsDavidAlbrechtesamWegbemerkt,beschleunigterdieGangartundhastetseitwärts
über Wurzeln und bemooste Steine den Berg hinan. »Dieses Wasser ist der Beginn der Moldau!«,
ruft er über die Schulter zurück und folgt dem gurgelnden Bächlein ein paar Dutzend Schritte
weit bis hinauf zu einer Stelle, wo es aus dem Berg hervortritt. »Man kann es trinken, es ist sehr
gutesundsehrgesundesWasser«,sagtderjungeMannundbeugtsichschonhinunter,dieHände
zum Schöpfgefäß geformt. Das Wasser soll silberhaltig sein.
Hier,wodieMoldauentspringt,ausmehrerenQuellen,hierpocht»daswildeHerzEuropas«.
Hier, tief im Böhmerwald, ganz nahe an der bayerischen Grenze, liegen die Wurzeln eines
Mythos, der jetzt zu neuem Leben erwacht. Nicht weit von der Quelle, an der gerade David Al-
brecht,derInformationsbeauftragtedestschechischenNationalparksŠumava,denwürzigenDuft
der Farne, der Stauden und der hohen Bäume durch die Nase einzieht, beginnt eine Zone beson-
dererArt.UngestörtvomMenschensollsichderWaldmitallseinenPlanzenundTierenzurück-
entwickeln zu jenem Dschungel, der er war, bevor seine Ausbeutung durch die Forstwirtschaft
begann.
Das rund dreizehntausendfünfhundert Hektar große Territorium gehört je etwa zur Hälfte
zumtschechischenNationalparkŠumavaundzumNationalparkBayerischerWald.Als»Europas
wildes Herz« hat man es benannt, damit sich die Faszination seiner ungezügelten Natürlichkeit
schon im Namen den rund eineinhalb Millionen Besuchern vermittle, die jedes Jahr auf beiden
Seiten der Grenze in die beiden Nationalparks kommen.
EsistdasgrößtezusammenhängendeWaldgebietMitteleuropaszubesichtigen.Ursprünglich
sprach man nur vom Böhmerwald und verstand darunter einen mehr als zweihundert Kilometer
langen Streifen auf beiden Seiten der bayerisch-böhmischen Grenze, der sich von der Oberpfalz
über Niederbayern bis ins österreichische Mühlviertel erstreckt. Als dort nach dem Zweiten
Weltkrieg der Eiserne Vorhang niederging, kam im Westen für den bayerischen Teil des Böhmer-
walds der Name Bayerischer Wald auf. In Tschechien bezeichnete man die Reste im Norden als
Český les (Böhmischer Wald), weiter südlich als Šumava (die Rauschende). Erst der Zusammen-
bruch des Kommunismus beendete 1989 die wechselseitige Isolation.
Im hermetisch abgeriegelten Grenzgebiet hatte sich ein einzigartiges Biotop entwickelt, das
man nach der Wende gemeinsam bewahren und entwickeln wollte. Auf bayerischer Seite war
schon1970nachamerikanischemVorbildderNationalparkBayerischerWaldgegründetworden,
der Erste in Deutschland. Seine ursprüngliche Fläche von dreizehntausenddreihundertdreißig
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