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Leser aus dem einfachen Volk zum Phantasieren an und kompensiere damit seinen
«(sozialen) Minderwertigkeitskomplex».
Es ist immer wieder behauptet worden, die Beati Paoli seien die Vorläufer der Mafia
gewesen, zumal die Angehörigen der Sekte zwar ihre Aufgabe als Beschützer der
Schwachen wahrnahmen, andererseits aber auch als Meuchelmörder bezichtigt wurden,
die für Geld töteten. Diesen Bezug bestreitet La Duca in seinem Essay. Die Mafia, schreibt
er, sei agrarischen Ursprungs und stehe im Zusammenhang mit der Auflösung der
Feudalstrukturen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Sekte der Beati Paoli schon seit
längerem ausgestorben war. Eine Verbindung zwischen dem Mythos der Beati Paoli und
der historischen Realität des Phänomens Mafia lässt sich dennoch finden. Das haben
bereits 1876 zwei aufgeklärte Politiker erkannt, Leopoldo Franchetti und Sidney Sonnino,
die Autoren eines Reports über Sizilien, der erstmals mit großer Genauigkeit die Zustände
auf der Insel abbildet: Condizioni politiche e amministrative della Sicilia (Die politischen und
administrativen Verhältnisse in Sizilien). Die Autoren schreiben, das Phänomen der Mafia
sei aus «dem antiquierten Rechtsempfinden einer Person heraus [entstanden], die glaubt,
sie könnte dank ihrer persönlichen Bedeutung und ihres Einflusses, unabhängig von
Obrigkeit und Gesetz, für den Schutz und die Unversehrtheit einer zweiten Person und
ihrer Habe sorgen», ein Empfinden, das sich in der sogenannten omertà akzentuiert, die als
erste Pflicht eines Mannes das absolute Schweigen gegenüber den Repräsentanten des
Staates ansieht, um sich auf eigene Faust Gerechtigkeit zu verschaffen.[ 16 ]
Das Misstrauen gegenüber dem von wem auch immer repräsentierten Staat, die ewige
Schicksalsergebenheit, die sich durch die Vendetta einen Ausgleich sucht, die durch
Anpassung an die Verhältnisse bewirkte Hinnahme der Ereignisse, das alles sind
Verhaltensweisen, die sich ganz sicher auch im Phänomen der Mafia wiederfinden.
Genauso haben es nicht nur unzählige wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem
Thema, sondern auch die sehr reichhaltige sizilianische Literatur beschrieben.
Der bekannteste Fall ist natürlich Il Gattopardo, Tomasi di Lampedusas Meisterwerk,
dessen Handlung auf genau diese Fähigkeit zur Schicksalsergebenheit in der Übergangszeit
zwischen bourbonischem Reich und der Einheit Italiens unter der Herrschaft der Savoyer
fokussiert ist. Viele Jahre vor dem Gattopardo gab es allerdings schon einen anderen
 
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