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Chevalley dem Fürsten von Salina mit dem Vorschlag kommt, den Posten eines Senators
des Königreichs zu übernehmen, muss er sich diese Antwort anhören: «Die Sünde, die wir
Sizilianer nie verzeihen, ist einfach die, überhaupt etwas zu ‹tun›. Wir sind alt, Chevalley,
sehr alt. Es sind zum mindesten fünfundzwanzig Jahrhunderte, dass wir auf den Schultern
das Gewicht hervorragender, ganz verschiedenartiger Kulturen tragen: alle sind sie von
außen gekommen, keine ist bei uns von selbst gekeimt, in keiner haben wir den Ton
angegeben. … Wir sind seit zweitausendfünfhundert Jahren eine Kolonie.»[ 3 ] In ihrem
«Kolonie-Sein» hat die Insel geradezu konvulsive Herrschaftswechsel erlebt. Zu Beginn des
18. Jahrhunderts etwa hat sie in kaum mehr als zwanzig Jahren dreimal den
Kolonialherrn gewechselt. Von 1713 an herrschten die Savoyer mit Vittorio Amedeo II.,
ab 1720 die Österreicher, 1735 kam dann die Rückkehr der bourbonischen Spanier, 1860
Garibaldi mit seinem Zug der Tausend.
Jahrhunderte zuvor waren es die Phönizier, die Karthager, die Griechen, die Römer, die
Berber, die Normannen und wahrscheinlich noch andere, die diese Insel und diese Stadt zu
ihrem Standort auserkoren, im Schatten der Palmen, mit dem Duft der Orangen, dem
Plätschern der Brunnen, dem Gekräusel der Wellen an unvergleichlichen Stränden. Ein
anhaltender Zustand der Versklavung, für den man auf lange Sicht einen Preis zu zahlen
hat; die Geschichte Palermos ist gepflastert mit Gefahren und Chancen; nur ganz selten
sind die Chancen genutzt worden.
Auf die Schikanen der Macht hat dieses soziale Gewebe, durchlässig und mürbe, wie es
war, auf die einzige Art und Weise reagiert, die die Umstände und die Tradition der
Unterdrückung zuließen: mit der Konstruktion eines Parallelsystems von Gerechtigkeit,
sprich durch Kultivierung der Kunst der Vendetta.
Bevor sich die Idee durchsetzte, dass der legitime Gebrauch von Gewalt exklusiv dem
Staat anzuvertrauen sei, war im Übrigen der Versuch, auf eigene Faust so etwas wie
«Gerechtigkeit» wiederherzustellen, die spontane Vergeltung von Unrecht, die Schaffung
lokaler Helden überall gängige Praxis gewesen. Eine Figur wie Robin Hood, die irgendwo
zwischen realer Geschichte, Legende und abergläubischer Vertrauensseligkeit anzusiedeln
ist, gehört zu den bekanntesten dieses Typus: ein Mann, halb Bandit und halb Philanthrop,
der (in der populärsten Version) in den Wäldern lebt wie ein Fabelwesen, aus denen er
 
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