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Empfängnis. Jede einzelne Geschichte ist von einer Zivil- und Staatsreligiosität liberal-
risorgimentaler Prägung gefärbt.
Die kirchliche Obrigkeit kannte kein Pardon, das Buch wurde auf den Index der «für die
Jugend wenig geeigneten» Bücher gesetzt. Den Startschuss für die Polemiken gab ein
Artikel in der Zeitung «L'Unità cattolica». Die liberale und die protestantische Presse
reagierten. In einem Turiner Saal organisierte ein Waldenser Pastor eine überfüllte
«Verteidigungs»-Konferenz zum Thema «Das Herz von De Amicis und das Herz der ‹Unità
cattolica›». Der Autor war nicht anwesend. Es wurde ihm aber darüber berichtet, und die
Solidarität war ihm ein Trost. Einige Tage danach schrieb er an seinen schwedischen
Verleger: «Ich sage dir das, um dich wegen der klerikalen Angriffe ein wenig zu trösten,
die dich, glaube ich, im tiefsten Herzen haben beklagen lassen, dass ich in meinem Buch
Weihnachten, Ostern und Himmelfahrt nicht heiliggesprochen habe.»
Der große Erfolg des Buches, auch außerhalb Italiens, beflügelte natürlich - und das
war beinahe unvermeidlich - Parodien, Persiflagen, Karikaturen. Der Dichter Francesco
Gaeta, der den in Cuore lancierten Werten skeptisch gegenüberstand, brachte gegenüber
seinem Gönner, dem Philosophen Benedetto Croce, die Möglichkeit einer Fortsetzung ins
Gespräch. Croce war darüber sehr amüsiert und schrieb: «Gaetas fidele Fortsetzung sieht
vor: Enrico, der seine gesamte Jugendzeit immerzu in der Wonne der moralischen,
sanften, erhabenen Spektakel verbracht hatte und der rauen Wirklichkeit und ihren
dämonischen Kräften gegenüber nicht hinreichend gewappnet war, endet durch die
Verführungen des Neuen und seine Unerfahrenheit von Jugendsünde zu Jugendsünde im
Gefängnis!» Eine Persiflage erfuhr auch Enricos Tagebucheintrag vom 17. Dezember mit
dem Titel Le maestre (Die Lehrerinnen):
Frau Cromi [ist] Schule halten gekommen, die älteste der Lehrerinnen, die zwei erwachsene Söhne hat und
schon einigen der Herren das Lesen und Schreiben beibrachte, die jetzt ihre Kinder zur Schule begleiten. Heute
war sie traurig, weil einer ihrer Söhne krank ist. Kaum sahen sie die Schüler, fingen sie an zu lärmen. Sie aber
sagte mit ruhiger, langsamer Stimme: ‹Habt Ehrfurcht vor meinen weißen Haaren: Ich bin nicht nur Lehrerin,
ich bin auch Mutter.› Und da getraute sich niemand mehr zu schwatzen.[ 10 ]
In Buon Cuore (Gutes Herz, 1906) von M. Nigra Garigliola wird aus der Maestra Cromi
die Maestra Dorati (also Gold statt Chrom), und die Persiflage lautet so:
 
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