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Frau Dorati, die älteste der Lehrerinnen, hat einen Sohn in der Irrenanstalt und einen zweiten im
Priesterseminar. Sie trat ein, und sofort gab es einen höllischen Lärm. Die gute Frau stieg aufs Katheder und
sagte, wobei sie die im Tumult befindliche Klasse mit mildem Blick liebkoste: ‹Wollt ihr, dass ich Maestro
Bonfanti rufe, der mit seinen hässlichen Strafe-Gottes-Händen schon die Hälfte seiner Schüler zum Krüppel
geschlagen hat?› Und keiner wagte es mehr zu reden.
Und dann gibt es da noch das Elogio di Franti (Loblied auf Franti), von Umberto Eco 1963
verfasst. Darin malt er sich aus, wie sich der böse Franti «in glühender Erinnerung an die
[vom Händedruck König Umbertos] noch heiße Hand Papa Corettis, der seinem Sohn die
Liebkosung des Königs weitergab … unter dem Künstlernamen Gaetano Bresci in der
Morgenröte des neuen Jahrhunderts zum Exerzitium einer langen Askese anschickte».[ 11 ]
Jede Epoche hat, dem Geschmack der Zeit entsprechend, ihre eigenen Variationen
hervorgebracht. Auch der Schriftsteller Alberto Arbasino hat sich über Cuore ausgelassen
(in: Certi Romanzi - Gewisse Romane, 1964) und die in seinen Augen sadistisch-
gefängnishafte Atmosphäre herausgestellt, von der dieses Buch durchzogen sei, wobei er
dies ganz ähnlich übrigens bei Puccini und D'Annunzio brandmarkt. Er fügt aber hinzu:
«Edmondo [De Amicis] und Giacomo [Puccini], aber auch Gabriele [D'Annunzio] bleiben
unübertroffene ‹kleine Meisten› der industriellen Transformation der schockierendsten
‹Transgressionen› in Produkte untadeliger Funktionalität.» Kritik und Karikatur im
Abstand von mehr als einem Jahrhundert seit seinem Erscheinen sind ein weiteres
untrügliches Zeichen für die anhaltende Vitalität des Buches. Im Übrigen hatte Eco seine
Vorsichtsmaßnahmen getroffen, indem er präzisierte:
Wer aber lacht, muss, um zu lachen, und um in sein Lachen die ganze Kraft zu legen, das, worüber er lacht,
akzeptieren und glauben, und sei es auch nur in Klammern, und von innen heraus lachen, wenn man es so
nennen will, sonst hat das Lachen keinen Wert. … Wer lacht, muss also Kind einer Situation sein, sie in toto
akzeptieren, sie beinahe lieben, und ihr dann, als böses Kind, eine Fratze ziehen.
Natürlich ist jedes Werk, das kollektive Werte durchzusetzen versucht oder, wie in diesem
Falle, geradezu zur Schau stellt, einfach zu parodieren. In jedem positiven Vorschlag sind
die Ursachen seiner Schwäche schon enthalten, und die ethischen oder ideologischen
Grundvoraussetzungen eines jeden Propagandawerkes, von den Tragödien des Mittelalters
über das Theater der Jesuiten bis zum «sozialistischen Realismus», können dadurch, dass
man es ins Lächerliche zieht, zunichte gemacht werden.
De Amicis hat die Figuren und Begebenheiten des Romans mit präzisen politisch-
 
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