DE AMICIS’ HERZ UND D’ANNUNZIOS LUST - Die Geheimnisse Italiens - page 17

Als liebevoller und fürsorglicher Vater begleitet der Schriftsteller seine beiden Söhne in
ihrem Schulalltag, den er dadurch Tag für Tag vor Augen hat: die Söhne, die Freunde der
Söhne, die Lehrer, die Eltern, die sich beim Abholen ihrer Kinder vor dem Ausgang
drängen. Er stibitzt die eine oder andere Geste, einen Halbsatz, etwa des Jungen, der
einen ärmeren Klassenkameraden tröstet, die angedeutete Zustimmung einer Lehrerin. So
entsteht das Buch Cuore. Am 16. Februar 1886 schreibt er seinem Verleger: «Ich bin
gerade richtig in Fahrt. Ich habe keinen anderen Gedanken, keine andere Leidenschaft als
mein Buch Cuore; ein Kapitel reiht sich an das andere, die Hälfte der Arbeit ist bereits
getan; hin- und hergerissen zwischen Tränen und Anfällen von Freude.»[ 3 ] In einem
Interview wird De Amicis' Sohn Ugo Jahre später offenbaren, dass sein Vater in den sechs
Monaten, während er an dem Buch schrieb, kein einziges Mal aus dem Haus ging und
jeden Tag Dutzende von Zigarren rauchte. Er arbeitete im Stehen an einem hohen Pult in
seiner Wohnung an der Piazza San Martino in Turin. Im Mai ist er fertig: nach sechs
Monaten. Seinem Freund Orazio Barberis vertraut er an: «Genau in diesem Augenblick,
um Mitternacht, bin ich mit meinem Jugendbuch fertig geworden, und das muss ich dir
einfach mitteilen, mein liebster Freund.»
Rechtzeitig zum ersten Schultag am 15. Oktober 1886 erscheint das Buch, mit einem
feuerroten Buchdeckel, und stapelt sich in den Schaufenstern. Als Modell diente die Schule
«Moncenisio» in der Via Cittadella in Turin. Ein Jugendbuch also, genauer gesagt: ein
«Lesebuch für die ersten Klassen der Grundschule» schwebte dem Autor vor, wie er in
einem seiner Briefe erläutert. Damals konnte er noch nicht ahnen, dass aus diesen sechs
Monaten intensiver Arbeit viel mehr werden sollte. 1923 war Cuore bei einer Auflage von
einer Million angekommen. 1958 waren daraus drei Millionen geworden. Später lässt sich
die Verkaufsgeschichte kaum noch nachvollziehen, und wie viele Millionen Exemplare des
Cuore inzwischen weltweit im Umlauf sind, das kann heute niemand mehr sagen.