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Pietro Di Donato sollte seinen Einwanderer-Roman Cristo fra i muratori (Christus im Beton)
betiteln und 1939 publizieren, dem Jahr, in dem auch Steinbecks The Grapes of Wrath
(Früchte des Zorns) erschien. Es war eine Zeit, in der die Literatur Rechenschaft ablegte
über den Preis, der für den Aufbau Amerikas zu bezahlen war.
In ihrem Elend hatten diese armen Leute eine primitive, abergläubische, ganz und gar
äußerliche Religiosität nach Amerika importiert. Heute existiert Little Italy nicht mehr.
Solange es aber das ursprüngliche «Little Italy» gab, war es eine Bühne für lärmende
Prozessionen mit der Statue der Madonna und verschiedenen Heiligen (etwa Gennaro, für
die Neapolitaner), die mit Dollarnoten gespickt durch die Straßen getragen wurden, unter
lautem Gejohle der Zuschauer, mit sehr schräger, ohrenbetäubender Musik, Applaus,
Zurufen, Tränen. Wenn dann der Abend kam: Tanz, nicht enden wollende Bankette an
langen Tischen mitten auf der Straße, genau wie es in den Landstrichen Brauch gewesen
war, aus denen sie gekommen waren.
Diese Art von Religiosität irritierte die übrigen Katholiken sehr, vor allem die Iren und
die Polen, die zwar denselben Glauben teilten, ihn aber vollkommen anders, sehr viel
zurückhaltender praktizierten. Das Befremden und das Gefühl der Verhöhnung auf Seiten
der nichtitalienischen Katholiken hatten ihre Ursachen in der Doktrin, denn eine so ganz
an Äußerlichkeiten orientierte Religion war in ihren Augen arm an echten spirituellen
Inhalten, jedenfalls zu nahe an einer heidnischen Ausprägung, die im Mezzogiorno Italiens
ungebrochen weiterexistierte. In einer vorherrschend puritanischen, tendenziell
antipapistischen Kultur wie der der Vereinigten Staaten barg eine so marktschreierische
Religiosität die Gefahr, den Katholizismus der Lächerlichkeit preiszugeben und das
Misstrauen der Protestanten zu wecken. Für diese Art von Religiosität ließen sich noch
sehr viele weitere Beispiele anführen, das wäre aber eine unnötige Wiederholung.
Ein Gegenbeispiel, eine Persönlichkeit, über die man auf alle Fälle sprechen muss, ist
Graf Camillo Benso di Cavour.[ 17 ] Obwohl man fast alles über ihn weiß, bleibt Cavour
im Verhältnis zu seinem historischen Kontext eine exzentrische Figur. Giuseppe Garibaldi
zum Beispiel verkörpert ganz wunderbar den Volkshelden, den Italiener par excellence:
ungestüm, redlich, ein tüchtiger General, politisch naiv. Cavour war das Gegenteil, ebenso
ungeeignet für das Militärleben wie politisch genial. Er kam ohnehin schon aus einer
 
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