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seinen Auftraggeber, und sei es der Papst höchstpersönlich.
Es soll noch auf eine weitere, wichtige Besonderheit in der Sixtina hingewiesen werden.
Das Jüngste Gericht des Michelangelo befindet sich hinter dem Altar und nicht auf der
gegenüberliegenden Seite wie alle anderen. Die Jüngsten Gerichte wurden immer auf der
dem Altar gegenüberliegenden Seite platziert, damit sie als ständige Mahnung fungieren
konnten. Nachdem die Gläubigen mit Blick auf den Altar am Gottesdienst teilgenommen
hatten, waren sie beim Hinausgehen mit einem Bild der Strafen konfrontiert, die für die
Verletzung des göttlichen Gesetzes vorgesehen waren. Im Falle der Sixtina geschieht das
Gegenteil: Der Zelebrant und die Gläubigen sind während der Gebete gezwungen, das
Jüngste Gericht zu sehen. Ich weiß nicht, ob es der Grundriss der Kapelle war, der diese
Lösung vorgab, oder der Wille des Meisters. Dies wäre durch Nachfrage bei einem
Spezialisten sicher schnell zu klären. Ich habe das nie tun wollen; mir gefällt die
Vorstellung (die aber kein historisches Fundament hat), dass Michelangelo diese
Anordnung deshalb gewollt hat, weil so aus seinem Werk eine Ermahnung wurde, die sich
auch an die Kardinäle, die Zelebranten und sogar den Papst richtete.
Michelangelo gehörte im korrupten, von der Gegenreform traumatisierten Rom dieser
Jahre im Übrigen zum Kreis der sogenannten Spiritualen, die sogar gewisser Sympathien
für den Protestantismus Lutherischer Prägung verdächtigt wurden. Dieser Verdacht ist
sicherlich unbegründet; wahr dagegen ist, dass man in diesem engen Zirkel versuchte,
gegen die Korruption der Kirche eine Erneuerung im Geiste des Evangeliums zu erreichen.
Zu diesem Kreis gehörte Vittoria Colonna, die Witwe Ferdinando Francesco d'Avalos', des
Markgrafen von Pescara, die sich nach dem Tode ihres Gatten zu einem klausurähnlichen
Leben im Frauenkloster von San Silvestro al Quirinale zurückgezogen hatte. Hier
sammelte sie einen kleinen Hofstaat von Intellektuellen um sich, die gli spirituali , «die
Geistlichen» genannt wurden: hohe Prälaten, Schriftsteller, Dichter, bildende Künstler,
darunter Michelangelo, der ihr verschiedene seiner Werke schenkte. So intensiv war ihre
Freundschaft, dass sogar von einer Liebesbeziehung zwischen ihnen gemunkelt wurde -
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