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Bonaventura dokumentiert und besiegelt mit seiner Legenda maior Franziskus' Existenz
und hebt dabei die Figur auf eine solche Höhe, dass sie unerreichbar wird. Niemand
konnte sich mehr schuldig fühlen, wenn es ihm trotz aller Opfer nicht gelang, ihr
gleichzukommen. Dazu der Historiker Alessandro Barbero: «Es ging darum zu zeigen, dass
die Stärke des Ordens mit seinen hunderten von Klöstern, seinen tausenden von Fratres,
dem ideologischen und politischen Einfluss seiner Führung, seiner perfekten Integration in
das Machtgefüge der Kirche nicht im Gegensatz zu der Armut standen, die der
unnachahmliche Franziskus hatte leben wollen.»[ 18 ] Damit seine Bewegung in den Schoß
der Kirche aufgenommen werden konnte, hatte der Mann sich auf gravierende
Kompromisse einlassen müssen; jeder allzu sehr ins Auge fallende Grund für Gegensätze
und Dramatik musste aus seinem Andenken getilgt werden. Chiara Frugoni vermutet, dass
es Bonaventura war, der diesen neuen Franziskus geschaffen hat, mit dem Risiko, aus ihm
die sanftmütige und ein wenig langweilige Figur zu machen, die wir heute in ihm sehen.
In den letzten qualvollen Jahren seines kurzen Lebens war Franziskus bewusst, dass die
Bewegung im Begriff war, sich von dem glühenden Glauben zu entfernen, mit dem er sie
aufgebaut hatte, von der Suche nach Einfachheit und Frieden, die er zum Fundament
seines «Evangeliums» gemacht hatte. Sein Schmerz wäre noch tiefer gewesen, hätte er
voraussehen können, dass ausgerechnet seine Franziskaner - gemeinsam mit den
Dominikanern - in den Tribunalen der Inquisition die strengsten Richter sein würden.
Im September 1220, anlässlich eines Generalkapitels in Porziuncola in Anwesenheit von
Kardinal Ugolino, erklärte er sich für zu krank, um seine Führungspositionen beibehalten
zu können, und betraute seinen Freund Pietro Cattani mit diesen Aufgaben. In einem
lateinischen Manuskript unsicheren Ursprungs, bekannt unter dem Namen Compilatio
assisiensis (Kompilation von Assisi oder auch Legende des heiligen Franziskus), wird erzählt, er
habe diese Entscheidung weniger aufgrund seiner Krankheiten getroffen, sondern weil
«die Brüder einst die heilige Armut mit großem Eifer beachteten …, seit einiger Zeit aber
Reinheit und Vollkommenheit zu verderben begannen, wenngleich die Brüder zu ihrer
Entschuldigung vorbrachten, dieses Ideal könnten sie aufgrund ihrer Vielzahl nicht mehr
befolgen». Franziskus wusste, dass er an Gründerautorität verloren hatte. Dazu hatte auch
sein sich immer weiter verschlechternder Gesundheitszustand beigetragen. Besonders
 
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