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Süden die «vertikalen» Beziehungen, also Herr- und Knecht-Verhältnisse.
Putnams Schlussfolgerungen sind heftig kritisiert worden. Dem Soziologen wurde
vorgeworfen, seine Hypothese überschreite - zu Ende gedacht - die Grenze zur
Behauptung anthropologischer Konstanten oder gar zum Rassismus. Putnams Studie wurde
die Vernachlässigung der jüngeren Ursachen für die Unterentwicklung in Süditalien
vorgeworfen, angefangen bei der Ausbeutung durch den Rest des Landes bis zum
überhasteten Zwangseinstieg in eine Industriekultur, für die diese heute völlig sinnlos von
Chemie- oder Stahlanlagen verwüsteten Territorien weder geeignet noch vorbereitet
waren. Im Lichte der jüngsten Ereignisse könnten wir hinzufügen, dass sich gegen Ende
des 20. Jahrhunderts der Norden und der Süden auf verhängnisvolle Weise schließlich
doch noch vereint haben, in dem kriminellen Kraftakt nämlich, dieses Werk der
Verwüstung durch den Handel mit Giftmüll zu vollenden. Dieser wird von lokalen
Gangsterbanden vom Norden in den Süden gebracht und dort in solchen Mengen entsorgt,
dass inzwischen nicht nur die Oberfläche des Bodens, sondern auch die tieferen Schichten
und das Grundwasser kontaminiert sind.
Eine bemerkenswerte Studie stammt von dem italienischen Anthropologen Carlo Tullio-
Altan: La nostra Italia, 1986 erschienen. Darin misst auch Altan dem Familismus, im Sinne
eines beinahe ausschließlichen Dreh- und Angelpunktes von Werten und Verhalten, großes
Gewicht bei. Dabei handele es sich um ein häufig dem der Stadt und noch entschiedener
dem der Nation komplett entgegengesetztes, veritables Werte-Universum. Mehr noch als
Banfield sieht Altan im italienischen Familismus eine Metaphysik der Sitten, die dazu
geeignet ist, das gesamte Verhalten zu Lasten der Gemeinschaftsinteressen ausschließlich
auf die Interessen und den Vorteil der eigenen Familie auszurichten. Einen empirischen
Beweis für diese Annahme kann man ganz leicht in der Haltung eines politischen Leaders
wie Umberto Bossi sehen, für den es offenbar keinen Widerspruch darstellt, sich zum
Padano, also zum Norditaliener,[ 13 ] oder zumindest zum Nicht-Italiener zu erklären und
sich gleichzeitig seiner Familie und seinen Kindern gegenüber so zu verhalten wie der
eingefleischteste süditalienische Pate.
Sind diese Analysen ausreichend als Erklärung für die jahrhundertealte
Unterentwicklung des Südens, für die Neapel symptomatisch ist? Oder, noch einen Schritt
 
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