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Zum Sprachrohr der Direktiven des Vatikans hatten sich die Bischöfe gemacht. Das war
auch der Grund, warum in der Jesuiten-Zeitschrift «La civiltà cattolica» das Urteil über
den Massari-Bericht ausgesprochen negativ ausfiel. Hervorgehoben wurde das «große
Aufheben», das in dem Text um alle «als sozial ausgegebenen Gründe» gemacht werde, in
dem vergeblichen Versuch, jede erdenkliche Ursache für den Brigantismus aufzuspüren,
Hauptsache, sie lag «außerhalb der Politik». Zumal «die Neapolitaner von dieser
vorgetäuschten Einheit ohnehin nichts wissen wollen».[ 19 ]
Mehrfach sollte die Zeitschrift auf das Thema zurückkommen. Noch 1874 war dort zu
lesen, dass «die südlichen Provinzen sich als eroberte, unterworfene, ausgebeutete
Provinzen betrachten». Die Jesuiten hatten nicht die geringsten Hemmungen, den Finger
dorthin zu legen, wo die Wunde am schmerzhaftesten war. Jahre zuvor hatte übrigens
Massimo d'Azeglio, der ehemalige Premierminister des Königreichs Sardinien-Piemont, in
einem auf breite Resonanz gestoßenen Brief an Senator Carlo Matteucci vom
2. August 1861 ganz ähnliche Vorstellungen geäußert:
In Neapel haben wir ebenfalls den Souverän weggejagt, um eine auf universalen Konsens gegründete Regierung
zu bilden. Aber dazu braucht man sechzig Bataillone, und es sieht so aus, als würden nicht einmal sie
ausreichen, um das Königreich zusammenzuhalten; und es ist allgemein bekannt, dass keiner, ob nun Brigant
oder Nicht-Brigant, etwas davon wissen will. Aber man wird sagen: und das universale Wahlrecht? Ich weiß
nichts über das Wahlrecht; ich weiß aber, dass diesseits des Tronto keine Bataillone nötig sind, und dass sie
jenseits nötig sind. Also müssen Fehler gemacht worden sein; und man muss Taten und Prinzipien ändern. Man
muss sich ein für alle Mal von den Neapolitanern sagen lassen, ob sie uns wollen, ja oder nein.[ 20 ]
Giuseppina Cavour Alfieri, die Nichte des Conte, hat uns einen Bericht über die letzten
Stunden des großen Staatsmannes hinterlassen. Durch die lange Agonie entkräftet,
hauchte Camillo unter anderem diese Worte: «Das Italien des Nordens ist vollendet, es
gibt keine Lombarden, Piemonteser, Toskaner, Romagnoler mehr: Wir sind alle Italiener;
aber da sind noch die Neapolitaner. Oh, es herrscht eine große Korruption in ihrem Land.
Es ist nicht ihre Schuld, die armen Leute sind ja so schlecht regiert worden … Man muss
das Land moralisieren, die Kinder und Jugendlichen erziehen, Kindergärten, Militärkollegs
schaffen: man soll aber nicht denken, man könne die Neapolitaner ändern, indem man sie
beschimpft.»[ 21 ]
Ein großes, bis heute ungelöstes Problem. Welche Antwort hätten die großen Massen
wohl gegeben, wenn man sie wirklich gefragt hätte? Ich spreche vom einfachen Volk, das
 
 
 
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